Unified Patent Court
Lokalkammer München
Einheitliches Patentgericht
Juridiction unifiee du brevet
Anordnung des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts
in dem Hauptsacheverfahren betreffend
das Europäische Patent 3 221 117
UPC_CFI_181/2023
ACT_528357/2023
ORD_588953/2023
erlassen am: 27.12.2023
LEITSÄTZE
- Der Schutz vertraulicher Informationen, die in Schriftsätzen und Anlagen enthalten sind, kann nur innerhalb eines Workflows nach Regel 262 und/oder 262A VerfO zeitgleich mit der Ersteinreichung bzw. innerhalb von 14 Tagen beantragt werden.
- Diese Anträge sind bei Einreichungen weiterer Schriftsätze und Anlagen zu wiederholen.
- Im Ausnahmefall kann ein eingeschränkter Schutz nach Regel 262A VerfO innerhalb eines Workflows nach Regel 9 VerfO bereitgestellt werden.
- Soweit die Schutzbedürftigkeit der Informationen zwischen den Parteien unstreitig ist, ist im Rahmen eines Antrags nach Regel 262A VerfO keine weitere gerichtliche Überprüfung der Schutzbedürftigkeit veranlasst.
- Eine Zwangsgeldandrohung nach Regel 354.3 VerfO wird der Höhe nach durch den Antrag begrenzt.
KEYWORDS
Art. 76 Abs.1 EPGÜ; R 4.1, 262, 262a VerfO; Workflows, Schutz vertraulicher Informationen, Zwangsgeldandrohung, Beschränkung durch den Antrag
KLÄGER
- KraussMaffei Extrusion GmbH
Vertreten durch: Daniel Seitz
Krauss-Maffei-Straße 1
30880 Laatzen
DE
BEKLAGTE(R)
- TROESTER GmbH & Co. KG
Vertreten durch: Alexander Wiese
Am Brabrinke 1 - 4
30519 Hannover
DE
STREITGEGENSTÄNDLICHES PATENT
| Patentnr. | Inhaber |
|---|---|
| EP3221117 | KraussMaffei Extrusion GmbH |
ENTSCHEIDENDE RICHTER
ZUSAMMENSETZUNG DES SPRUCHKÖRPERS – VOLLSTÄNDIGE ZUSAMMENSETZUNG
Vorsitzender Richter und Berichterstatter: Matthias Zigann
Rechtlich qualifizierte Richterin: Mojca Mlakar
Rechtlich qualifizierter Richter: Tobias Pichlmaier
Technisch qualifizierte Richterin: Beate Schenk
Diese Anordnung wurde vom Vorsitzenden Richter und Berichterstatter Matthias Zigann erlassen.
VERFAHRENSSPRACHE: Deutsch
GEGENSTAND DER RECHTSSACHE:
Patentverletzung; hier: Antrag auf Geheimhaltung nach Regel 262a VerfO.
SACHVERHALT UND ANTRÄGE DER PARTEIEN
Die beklagte Partei hat in der Klageerwiderung einen Antrag nach „Regel 262a VerfO“ gestellt. Sie bringt vor, dass es ihr bislang nicht möglich gewesen sei, gesonderte Workflows hierfür zu eröffnen und abzuschließen. Eine geschwärzte Fassung der Klageerwiderung sowie der betroffenen Anlagen wurde mittlerweile in diesem Workflow hochgeladen.
Die Beklagte beantragt:
- Zudem beantragen wir vorab, die in den Randziffern 62 bis 66 sowie den Anlagen WKS 3a und 3b zu dem Schriftsatz vom 6.11.2023 enthaltenen Informationen werden als geheimhaltungsbedürftig eingestuft.
Die Parteien, ihre Prozessvertreter, Zeugen, Sachverständige, sonstige Vertreter und alle sonstigen Personen, die an dem vorliegenden
Verfahren beteiligt sind oder die chen Verfahrens haben, mussen die als geheimhaltungsbediirftig Zugang zu Dokumenten eines sol- eingestuften Informationen gem. Ziffer 1 vertraulich behandeln und diirfen diese auBerhalb dieses Verfahrens nicht nutzen oder of- fenlegen; es sei denn; dass sie von diesen auBerhalb des Verfahrens Kenntnis erlangt haben: Diese Verpflichtungen bestehen auch nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens fort: Dies gilt nicht; wenn das Gericht der Hauptsache das Vorliegen des streitgegenstandli- chen Geschaftsgeheimnisses durch rechtskraftiges Urteil verneint hat oder sobald die streitgegenstandlichen Informationen fur Perso nen in den Kreisen, die iblicherweise mit solchen Informationen umgehen, bekannt oder ohne Weiteres zuganglich werden:
Das Gericht kann gegen einen Verpflichteten fur jeden schuldhaf- ten VerstoB gegen die Vertraulichkeitspflicht gem Ziffern 1 und 2 Ordnungsgeld bis zu EUR 100.000,00 verhangen und sofort voll- ein strecken:
Dritten, die ein Recht auf Akteneinsicht haben, darf nur ein Akten-Verfug ung gestellt werden, in dem die die Geschaftsge- inhalt zur heimnisse gem Ziffer 1 enthaltenden Ausfuhrungen unkenntlich gemacht wurden.
Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt:
Die Randziffern 62 bis 66 und den Anlagen WKS 3a und 3b betreffen vertrauli- che; der Sphare des Geschaftsbetriebes der Beklagten zugeordnete Informatio nen, insbesondere in Form von Schnittzeichnungen und detaillierten Angaben zu einzelnen Bauteilen und deren Leistungsfahigkeit Diese Informationen sind der Offentlichkeit nicht zuganglich, sondern werden von der Beklagten nur zur in- ternen Benutzung verwendet und sind entsprechend durch GeheimhaltungsmaB- nahmen im Betrieb der Beklagten geschitzt: Ein allgemeiner Zugriff auf die in den Anlagen WKS 34 und 3b offenbarten Informationen besteht daher nicht Die Informationen gehen auch deutlich iiber das hinaus, was in der Anlage FIN 5 of- fenbart wurde. Die Beklagte hat ebenfalls ein berechtigtes Interesse an der Ge- heimhaltung, da die vertraulichen Informationen Konstruktionsdetails betreffen; die iblicherweise nicht der Offentlichkeit; insbesondere Wettbewerbern, zu- ganglich sind und die Leistungsfahigkeit von Bauteilen der Maschine betreffen.
Sie stellt hierzu klar:
Zur Klarstellung weisen wir darauf hin; dass auch unter den gestellten Geheimnisschutzantragen der Prozessvertreter der Gegenseite; die Klagerin selbst; etwaige Zeugen und/oder Sachverständigen uneingeschränkten Zugriff auf die als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Dokumente im Rahmen dieses Verfahrens erhalten. Der Geheimnisschutz betrifft lediglich die Verwendung der offenbarten Informationen außerhalb des vorliegenden Verfahrens sowie eine mögliche Akteneinsicht durch Dritte.
Die Klagepartei hat hiergegen keine Einwände erhoben.
BEGRÜNDUNG DER ANORDNUNG
- Die Parteien sind nach Regel 4.1 VerfO gehalten, die vom Gericht bereitgestellten amtlichen Formulare zu verwenden, hierzu gehören auch die gesonderten Workflows. Für Anträge gem. Regel 262.2 und Regel 262a VerfO gibt es jeweils einen gesonderten Workflow. Ein Antrag nach Regel 262.2 VerfO richtet sich gegen die Kenntnisnahme vertraulicher Informationen durch Dritte im Rahmen einer Akteneinsicht. Ein Antrag nach Regel 262a VerfO zielt auf einen Schutz vertraulicher Informationen gegenüber der anderen Partei. Im Workflow des Verletzungsverfahrens ist im Zeitpunkt der ersten Einreichung eines Schriftsatzes oder einer Anlage, die vertrauliche Informationen enthält, bzw. innerhalb von 14 Tagen danach, zusätzlich eine geschwärzte Fassung des Schriftsatzes bzw. der Anlage als „redacted version“ hochzuladen. Im Nachgang fordert das System den Einreicher der „redacted version“ dazu auf, entsprechende Anträge in den Workflows nach den Regeln 262 bzw. 262a VerfO zu stellen. Wurde dies versäumt, gibt es derzeit keine Korrekturmöglichkeit. Die Einleitung eines 262/262a-Workflows ist dann nicht mehr möglich.
- Für weitere Schriftsätze und Anlagen, die (dieselben) vertraulichen Informationen enthalten, ist dies zu wiederholen. Insoweit unterscheiden sich die Regelungen der Verfahrensordnung maßgeblich von der deutschen Praxis. In der deutschen Praxis wird in entsprechender Anwendung des Geschäftsgeheimnisgesetzes einmal verbindlich die Schutzbedürftigkeit einer bestimmten Information festgestellt. Einer wiederholten Geltendmachung des Schutzbegehrens bedarf es daher nicht. Hiervon abweichend sieht die Verfahrensordnung eine wiederholte Geltendmachung für jeden weiteren Schriftsatz oder jede weitere Anlage vor, in der vertrauliche Informationen enthalten sind. Dies erleichtert die Sicherstellung des Geheimnisschutzes im Rahmen des elektronischen Fallbearbeitungssystems (CMS).
- Vorliegend hat es der Beklagtenvertreter nach Angaben des CMS-Support versäumt, die entsprechend geschwärzten Versionen der Klageerwiderung und einiger Anlagen im Zeitpunkt der ersten Einreichung hochzuladen. Mithin ist es ihm aufgrund der derzeitigen
3.
Es ist daher für diesen Sonderfall innerhalb eines vom Gericht eröffneten Workflows nach Regel 9 VerfO eine Sonderregelung mit eingeschränktem Schutz zu treffen. Da die betroffenen Informationen unstreitig geheimhaltungsbedürftig sind, sieht das Gericht vorliegend davon ab, den Antrag wegen Nichteinhaltung der Regel 4.1 VerfO zurückzuweisen. Etwaige Nachteile, die aus der Nichtbenutzung der entsprechenden Workflows eventuell entstehen, gehen aber zu Lasten der beklagten Partei.
4.
In Bezug auf den Schutz vertraulicher Informationen gegenüber einer Kenntnisnahme durch Dritte via Akteneinsicht ist derzeit keine Anordnung veranlasst. Dritte, die Zugang zu den im Verfahren eingereichten Schriftsätzen und Anlagen begehren, haben nach Regel 262.1.b VerfO zunächst einen begründeten Antrag an die Kanzlei zu richten. Der Berichterstatter entscheidet hierüber nach Anhörung der Parteien. Die Beklagte wird daher im Rahmen dieser Anhörung Gelegenheit haben, ihr Geheimhaltungsbegehren (erneut) geltend zu machen.
5.
In Bezug auf den Schutz vertraulicher Informationen gegenüber einer Kenntnisnahme durch Dritte durch Teilnahme an einer öffentlichen Sitzung oder einer öffentlichen Verkündung ist derzeit keine Anordnung veranlasst. Hierüber wird im Rahmen des jeweiligen Termins befunden werden.
6.
In Bezug auf gerichtliche Dokumente, die vertrauliche Informationen enthalten, wird das Gericht bei Bedarf eine geschwärzte Fassung anfertigen und hochladen.
7.
a. Mithin verbleibt als derzeit zu regeln die zwangsgeldbewehrte Anordnung, dass die Klagepartei die als vertraulich bezeichneten Informationen vertraulich zu behandeln hat und diese außerhalb des Verfahrens nicht nutzen darf, es sei denn, dass sie von diesen außerhalb des Verfahrens Kenntnis erlangt hat. Diese Verpflichtung besteht auch nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens fort. Dies gilt nicht, wenn ein Gericht das Vorliegen einer Schutzbedürftigkeit rechtkräftig verneint hat oder sobald diese Informationen für Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit solchen Informationen umgehen, bekannt oder ohne Weiteres zugänglich werden.
b. Die betroffenen Informationen sind unstreitig geheimhaltungsbedürftig. Weitere Ausführungen hierzu sind im Rahmen einer Entscheidung nach Regel 262a VerfO daher nicht veranlasst. Die beantragte Anordnung ist auch als Minus zu einer Zugangsbeschränkung von Regel 262a.1 gedeckt. Die offensichtlich aus der deutschen Praxis entnommenen Formulierungen des Antrags wurden an die Verfahrensordnung angepasst. Die Zwangsgeldandrohung ist auf Regel 354.3 VerfO gestützt. Der Höhe nach ist sie auf die beantragten € 100.000,00 zu begrenzen. Aus dem Antrag ergeben sich auch die weiteren Beschränkungen. Nach Art. 76 Abs. 1 EPGÜ darf das Gericht nicht mehr zusprechen, als beantragt ist.
c. Keine Möglichkeit der Anordnung besteht allerdings gegenüber weiteren Personen. Die Verfahrensordnung hält insoweit keine Regelungen bereit. Insoweit ist der Antrag ebenfalls zurückzuweisen.
d. Die Berufung wird zugelassen, weil die Frage nach dem korrekten Umgang mit Geheimhaltungsanträgen Bedeutung über den Einzelfall hinaus hat.
ANORDNUNG
- Die Klägerin hat die in Rn. 62-66 des Schriftsatzes vom 06.11.2022 sowie in den Anlagen WKS 3a und 3b als vertraulich bezeichneten Informationen bei Meidung eines Zwangsgeldes bis zu € 100.000,00 für jeden Fall eines schuldhaften Verstoßes vertraulich zu behandeln und darf diese außerhalb des Verfahrens nicht nutzen, es sei denn, dass sie von diesen Informationen außerhalb des Verfahrens Kenntnis erlangt hat. Diese Verpflichtung besteht auch nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens fort. Dies gilt nicht, wenn ein Gericht das Vorliegen der Schutzbedürftigkeit dieser Informationen rechtkräftig verneint hat oder sobald diese Informationen für Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit solchen Informationen umgehen, bekannt oder ohne Weiteres zugänglich werden.
- Im Übrigen werden die Anträge der Beklagten zurückgewiesen.
- Die Berufung wird zugelassen.
ANWEISUNGEN AN DIE PARTEIEN UND DIE KANZLEI
Soweit die Klägerin diese vertraulichen Informationen in einem ihrer Schriftsätze diskutiert, kann sie zeitgleich eine geschwärzte Fassung einreichen und einen Antrag nach Regel 262.2 VerfO stellen. Tut sie das nicht, kann die Beklagte dies innerhalb von 14 Tagen nachholen.
Soweit die Beklagte diese vertraulichen Informationen oder weitere vertrauliche Informationen in einem späteren Schriftsatz diskutiert, möge sie zeitgleich eine geschwärzte Fassung einreichen und Anträge nach Regel 262.2 VerfO und/oder Regel 262A VerfO stellen.
Dr. Zigann
Vorsitzender Richter und Berichterstatter
Digital unterschrieben von Matthias
Matthias ZIGANN Datum: 2023.12.27 22:16:39 +01’00’ZIGANN
ANGABEN ZUR ANORDNUNG
Anordnung Nr. ORD_588953/2023 im VERFAHREN NUMMER: ACT_528357/2023
UPC Nummer: UPC_CFI_181/2023
Art des Vorgangs: Verletzungsklage
INFORMATION ÜBER DIE BERUFUNG:
Gegen die vorliegende Anordnung kann entweder
- durch jede Partei, die ganz oder teilweise in ihren Anträgen erfolglos war, zusammen mit der Berufung gegen die Endentscheidung des Gerichts erster Instanz in der Hauptsache Berufung eingelegt werden, oder
- nach Zulassung der Berufung durch das Gericht erster Instanz binnen 15 Tagen nach Zustellung der entsprechenden Entscheidung Berufung durch jede Partei, die ganz oder teilweise in ihren Anträgen erfolglos war, eingelegt werden (Art. 73 (2) (b) EPGÜ, R. 220.2, 224.1 (b) VerfO).
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