Unified Patent Court

Lokalkammer München

Einheitliches Patentgericht

Juridiction unifiee du brevet

UPC_CFI_74/2024

Anordnung

des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts

Lokalkammer München

erlassen am 27. August 2024

LEITSÄTZE:

  1. In bestimmten Konstellationen kann auf eine unmittelbare Verletzung eines Vorrichtungs- anspruchs erkannt werden, wenn sich nämlich der Patentverletzer Handlungen seines Ab- nehmers im Sinne einer verlängerten Werkbank zu eigen macht und es aus Wertungsge- sichtspunkten unbillig wäre, den Verletzer lediglich wegen einer mittelbaren Patentverlet- zung haften zu lassen. In den Blick zu nehmen ist aber stets die Gefahr, dass hierdurch die vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen zwischen den Rechtsfolgen einer unmittelbare und einer mittelbaren Patentverletzung verschwimmen. Daher kann eine Haftung wegen un- mittelbarer Patentverletzung bei derartigen Sachverhalten nur dann angenommen wer- den, wenn eine konkret umrissene Vervollständigung der patentgemäßen Vorrichtung mit Sicherheit zu erwarten ist. Dies ist etwa dann unproblematisch der Fall, wenn ein Bau- satz zum Zusammenfügen zu einer Gesamtvorrichtung durch den Abnehmer inklusiver Zusammenbauanleitung geliefert wird und die Gesamtvorrichtung nicht funktioniert, sollte sie abweichend hiervon zusammengesetzt werden.
  2. Die Umstände des vorliegenden Falls weichen hiervon aber in einem entscheidenden Punkt ab. Aufgrund der angegriffenen Programmbibliothek ist es zwar in Verbindung mit den Videos und der Dokumentation im Sinne einer mittelbaren Patentverletzung, die ei- nen Gefährdungstatbestand darstellt, möglich, dass der Abnehmer eine patentgemäße Gesamtvorrichtung herstellt. Aufgrund der Vielzahl von abweichenden Programmier- möglichkeiten sowie Möglichkeiten, die Hardwarekomponenten zusammenzustellen, steht dies aber nicht mit der erforderlichen Konkretheit sicher fest.

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3. Bei einer Unterlassungsanordnung zur Unterbindung einer mittelbaren Patentverletzung

ist stets zu erwägen, ob mit Blick auf die dem Patentverletzer verbleibenden Möglichkeiten, die wesentlichen Mittel zu anderen, nicht patentverletzenden Zwecken anzubieten oder zu liefern, ein Relativverbot oder ein Absolutverbot auszusprechen ist. Hierbei ist zu insbesondere zu erwägen, ob die Gefahr einer unmittelbaren Patentverletzung durch die Abnehmer des mittelbaren Patentverletzers hinreichend durch ein relatives Verbot, zum Beispiel aufgrund von Warnhinweisen, abgewehrt werden kann, und ob und mit welchem Aufwand eine Umgestaltung des Mittels dahingehend, das ihm die Eignung, patentgemäß verwendet zu werden, genommen wird, möglich erscheint.

4. Im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

ist eine vollständige Prüfung aller gegen die Gültigkeit des Streitpatents vorgebrachten Argumente, die wie im Nichtigkeitsverfahren zahlreich sein können, nicht möglich. Vielmehr ist die Zahl der gegen die Gültigkeit des Patents vorgebrachten Argumente in der Regel auf die aus Sicht des Antragsgegners besten drei zu reduzieren (UPC_CFI_443/2023 ACT_589207/2023 (Lokalkammer München), Beschluss vom 21. Mai 2024, 3. LS). Hintergrund ist, dass zwar eine summarische Beurteilung von Tatsachenfragen denkbar ist, nicht aber eine summarische Prüfung von Rechtsfragen. Das Gericht kann eine Rechtsfrage entweder prüfen oder nicht. Entscheidet sich das Gericht, die Frage zu prüfen, wird es dies umfassend tun. Die einzige Möglichkeit, dem summarischen Charakter des Verfahrens Rechnung zu tragen, besteht also darin, die Zahl der auf diese Weise vollständig zu prüfenden Rechtsfragen zu reduzieren. Dies wird durch das Erfordernis deutlich, die Zahl der Argumente auf drei zu begrenzen. Da es dem Antragsgegner obliegt, die Gültigkeitsvermutung anzufechten, obliegt es in erster Linie dem Antragsgegner, die drei Argumente auszuwählen, die vom Spruchkörper im Eilverfahren eingehend geprüft werden sollen.

5. Im Hinblick auf die abweichende Rechtsprechung zur zeitlichen Dringlichkeit

die dem Antragsteller nur einen Monat Zeit einräumt, z.B. in UPC_CFI_452/2023 (Lokalkammer Düsseldorf), Anordnung vom 9. April 2024, GRUR-RS 2024, 7207, Rz. 128, hält die Lokalkammer München an ihrer Rechtsprechung fest und gewährt zwei Monate.

SCHLAGWÖRTER:

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung; Abgrenzung unmittelbare und mittelbare Patentverletzung; Absolutverbot bei mittelbarer Patentverletzung; Beschränkung der Argumente gegen den Rechtsbestand auf drei; zeitliche Dringlichkeit; Dringlichkeitsfrist zwei Monate; Anordnung einer Vollstreckungssicherheit für USA

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Antragstellerin

Hand Held Products, Inc., 855 S Mint Street, NC 28202, Charlotte, US

vertreten durch: Dr. Tobias Wuttke (Bardehle Pagenberg)

Antragsgegnerin

Scandit AG, Hardtturmstrasse 181, 8005, Zürich, CH

vertreten durch: Jan Zecher (Fish)

Streitgegenständliches Patent

Europäisches Patent 3 866 051.

Spruchkörper/Kammer

Panel 1 der Lokalkammer München.

Entscheidende Richter

Diese Anordnung wurde erlassen durch den Vorsitzenden Richter Dr. Matthias Zigann als Berichterstatter, den rechtlich qualifizierten Richter András Kupecz und den rechtlich qualifizierten Richter Tobias Pichlmaier. Ein technisch qualifizierter Richter wurde nicht hinzugezogen.

VERFAHRENSSPRACHE:

Deutsch.

GEGENSTAND DER RECHTSSACHE:

R. 206.1 VerfO i.V.m. R. 211.1 VerfO – Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen.

MÜNDLICHE VERHANDLUNG

  1. JUNI 2024.

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SACHVERHALT

Die Antragstellerin nimmt die Antragsgegnerin wegen Verletzung des Europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung EP 3 8866 051 (nachfolgend: Streitpatent) in Anspruch. Das Streitpatent wurde am 8. November 2013 unter Inanspruchnahme der Prioritäten US 201261726747P vom 15. November 2012, US 201261737552P vom 14. Dezember 2012, US 201313743477 vom 17. Januar 2013 und US 201313748926 vom 24. Januar 2013 angemeldet. Die Offenlegung der Patentanmeldung erfolgte am 18. August 2021. Der Hinweis auf die Erteilung des Streitpatents unter anderem mit Wirkung für sämtliche Mitgliedsstaaten des EPGÜ wurde am 21. Februar 2024 vom Europäischen Patentamt veröffentlicht (B1-Schrift des Streitpatents EP 3 866 051 als Anlage BP 7a).

Am 26. Januar 2024 wurde für das Streitpatent ein Antrag auf einheitliche Wirkung gem. Regel 6 Durchführungsordnung zum einheitlichen Patentschutz („DOEPS“) beim Europäischen Patentamt gestellt (Anlage BP 7b). Sowohl der Name als auch die Adresse der im Antrag angegebenen Patentinhaberin weisen zwar Unterschiede zu der aktuell im Europäischen Patentregister angegebenen Patentinhaberin und hiesigen Antragstellerin auf, dennoch handelt es sich um ein und dieselbe Gesellschaft/Patentinhaberin. Der im Antrag angegebene Name “Hand Held Products, Inc. doing business as Honeywell Scanning & Mobility” ist der Handelsname der hiesigen Antragstellerin “Hand Held Products, Inc.”. Es handelt sich um dieselbe juristische Person. Die Unterschiede in der Anschrift ergeben sich durch einen bloßen Wechsel des Sitzes der Patentinhaberin. Da die Erfordernisse der Regeln 5(2) und 6 DOEPS erfüllt sind, hat das Europäische Patentamt die einheitliche Wirkung in das Register für den einheitlichen Patentschutz am 27. März 2024 eintragen. Die einheitliche Wirkung des Streitpatents ist damit ab 21. Februar 2024 (Tag der Veröffentlichung des Hinweises auf Erteilung im Europäischen Patentblatt) wirksam (Art. 4(1) Verordnung (EU) NR. 1257/2012).

Gegen die Erteilung des Streitpatents wurde kein Einspruch eingelegt.

Im am 21. Februar 2024 eingeleiteten Hauptsacheverfahren zwischen denselben Parteien (ACT_9206/2024) hat die Beklagte am 11. Juli 2024 Nichtigkeitswiderklage (CC_40710/2024) erhoben. Termin für die mündliche Verhandlung wurde für den 29. April 2025 bestimmt.

Das Streitpatent betrifft digitale Geräte zum Auslesen dekodierbarer Zeichen wie etwa Barcodes. Dabei werden Kennungen insbesondere optisch mittels einer Kamera ausgelesen und die in der Kennung codierten Informationen für den Benutzer wiedergegeben.

Patentanspruch 1

Patentanspruch 1 ist wie folgt formuliert:

  1. An indicia-reading device (100, 1000), comprising:
  • one or more processors (1060);
  • a memory (1085);
  • an imaging subsystem (1040) configured to acquire an image of decodable indicia (15, 202, 204, 206);
  • a display (54); and
  • a communication interface (1604, 1608);

wherein said device is configured, responsive to acquiring an image of one or more objects within a field of view (140) of said imaging subsystem, to locate within said image and decode one or more decodable indicia; wherein said device is further configured to display said image on said display and visually mark said one or more successfully decoded decodable indicia; characterized in that said device is further configured to display a product image at a location of an associated image representation of each one or more successfully decoded.

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decodable indicia, said product image is associated with the successfully decoded decodable indicia by said device based on a lookup table retrieved from a database; wherein said device is further configured, responsive to accepting user input selecting at least one successfully decoded decodable indicia of said displayed one or more successfully decoded decodable indicia, to output at least one decoded message corresponding to the at least one selected successfully decoded decodable indicia and/or at least one product image associated with the at least one selected successfully decoded decodable indicia and/or data determined when the at least one selected successfully decoded decodable indicia is decoded.

In der eingetragenen deutschen Übersetzung lautet Patentanspruch 1 wie folgt:

  1. Zeichenlesevorrichtung (100, 1000), umfassend: einen oder mehrere Prozessoren (1060); einen Speicher (1085); ein Bildgebungssubsystem (1040), das konfiguriert ist, um ein Bild dekodierbarer Zeichen (15, 202, 204, 206) zu erfassen; eine Anzeige (54); und eine Kommunikationsschnittstelle (1604, 1608); wobei die Vorrichtung konfiguriert ist, um als Reaktion auf das Erfassen eines Bildes eines oder mehrerer Objekte innerhalb eines Sichtfeldes (140) des Bildgebungssubsystems ein oder mehrere dekodierbare Zeichen innerhalb des Bildes zu lokalisieren und zu dekodieren; wobei die Vorrichtung ferner konfiguriert ist, um das Bild auf der Anzeige anzuzeigen und das eine oder die mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen visuell zu kennzeichnen; dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung ferner konfiguriert ist, um ein Produktbild an einer Stelle einer zugeordneten Bilddarstellung von jedem des einen oder der mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen anzuzeigen, wobei das besagte Produktbild basierend auf ei-ner aus einer Datenbank abgerufenen Nachschlagetabelle durch die besagte Vorrichtung den erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist; wobei die Vorrichtung ferner konfiguriert ist, um als Reaktion auf das Annehmen einer Benutzereingabe, die mindestens ein erfolgreich dekodiertes dekodierbares Zeichen des/der angezeigten einen oder mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen auswählt, mindestens eine dekodierte Nachricht, die dem mindestens einen ausgewählten erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen entspricht, und/oder mindestens ein Produktbild, das dem mindestens einen ausgewählten erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist, und/oder Daten auszugeben, die bestimmt werden, wenn das mindestens eine ausgewählte erfolgreich dekodierte dekodierbare Zeichen dekodiert wird.

Patentanspruch 10 ist wie folgt formuliert:

  1. An indicia-reading method on an indicia-reading device (100, 1000) comprising: one or more processors (1060); a memory (1085); an imaging subsystem (1040) configured to acquire an image of decodable indicia (15, 202, 204, 206); a display (54); and a communication interface (1604, 1608); the method comprising: responsive to acquiring an image of one or more objects within a field of view (140) of said imaging subsystem, locating within said image and decoding one or more decodable indicia; displaying said image on said display and visually marking said one or more successfully decoded decodable indicia; characterized by the method further comprising: associating each of one or more successfully decoded indicia with a product image based on a lookup table retrieved from a database; displaying the product image at a location of an associated image representation of each of the one or more decoded indicia, and responsive to accepting user input selecting at least one decodable indicia of said displayed one or more decodable indicia, outputting at least one decoded message corresponding to the at least one selected successfully decoded decodable indicia.

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lected decodable indicia and/or at least one product image associated with the at least one selected decodable indicia and/or data determined when the at least one selected decodable indicia is decoded.

In der eingetragenen deutschen Übersetzung lautet Patentanspruch 10 wie folgt:

10. Zeichenleseverfahren auf einer Zeichenlesevorrichtung (100, 1000), umfassend:

  • einen oder mehrere Prozessoren (1060);
  • einen Speicher (1085);
  • ein Bildgebungssubsystem (1040), das konfiguriert ist, um ein Bild von dekodierbaren Zeichen (15, 202, 204, 206) zu erfassen;
  • eine Anzeige (54);
  • und eine Kommunikationsschnittstelle (1604, 1608);

wobei das Verfahren umfasst: als Reaktion auf das Erfassen eines Bildes eines oder mehrerer Objekte innerhalb eines Sichtfeldes (140) des Bildgebungssubsystems, Lokalisieren eines oder mehrerer dekodierbarer Zeichen innerhalb des Bildes und Dekodieren; Anzeigen des Bildes auf der Anzeige und visuelles Kennzeichnen des einen oder der mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen; dadurch gekennzeichnet, dass das Verfahren ferner umfasst: Zuordnen jedes von einem oder mehreren erfolgreich dekodierten Zeichen zu einem Produktbild basierend auf einer aus einer Datenbank abgerufenen Nachschlagetabelle; Anzeigen des Produktbildes an einer Stelle einer zugeordneten Bilddarstellung jedes der einen oder mehreren dekodierten Zeichen, und als Reaktion auf das Annehmen einer Benutzereingabe, die mindestens ein dekodierbares Zeichen des angezeigten einen oder der mehreren dekodierbaren Zeichen auswählt, Ausgeben mindestens einer dekodierten Nachricht, die dem mindestens einen ausgewählten dekodierbaren Zeichen entspricht, und/oder mindestens eines Produktbildes, das dem mindestens einen ausgewählten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist, und/oder von Daten, die bestimmt werden, wenn das mindestens eine ausgewählte dekodierbare Zeichen dekodiert wird.

Die Antragstellerin

ist Teil der Honeywell Unternehmensgruppe. Honeywell ist ein US-amerikanischer Mischkonzern und in verschiedenen Branchen tätig, beispielsweise in der Luft- und Raumfahrtindustrie, Gebäudetechnik, im Bereich Energie und Nachhaltigkeit sowie in der Industrieautomatisierung. Der Geschäftsbereich Productivity Solutions & Services entwickelt Produkte und Lösungen wie Barcode-Scanner, Computergeräte, Drucker, Wearable Technology, Software und RFID-Geräte. Diese Produkte und Lösungen bieten Lösungen für Fabriken, Gesundheits- und Fertigungseinrichtungen sowie für den Einzelhandel. So ist es beispielsweise für Logistikunternehmen, aber auch für Hersteller und Handelsunternehmen unerlässlich, den Warenbestand zu verfolgen und einzelne Produkte innerhalb eines Lagers oder auf einem Transportweg zu lokalisieren. Ermöglicht wird dies unter anderem durch die Barcode-Technologie.

Die Antragsgegnerin

ist ein in der Schweiz ansässiges Technologieunternehmen, dass sich auf die automatisierte Erfassung von Barcodes spezialisiert hat. Die Antragsgegnerin vertreibt in mehreren EPG-Mitgliedsstaaten, jedenfalls in Deutschland und Frankreich, unter anderem die Software-Programmbibliothek „Data Capture SDK“. Diese sieht eine Vielzahl von Funktionen vor, die die Kunden auswählen können, wodurch sie eine auf ihre konkreten Bedürfnisse zugeschnittene Software erhalten (Software Development Kit = SDK). Darin enthalten ist die „BarcodeTrackingAdvancedOverlay“-Funktionalität. Diese Funktion ermöglicht es, dass dem Benutzer nach dem Scannen eines Barcodes die bildliche Darstellung von mit dem Barcode verknüpften Informationen oberhalb, neben bzw. diesen Barcode überdeckend auf dem Display des Lesegeräts angezeigt wird.

Der Antrag

richtet sich gegen alle Computerprogramme der Antragsgegnerin, insbesondere das „Data Capture SDK“, die über die Funktion verfügen, gemäß der ein Bild von mit dem Produkt

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verknüpften Informationen auf dem Display des Zeichenlesegeräts angezeigt wird, wie beispiels-weise die sogenannte „BarcodeTrackingAdvancedOverlay“-Funktionalität („angegriffene Ausfüh-rungsform“).

Ergänzend wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den gesamten Akteninhalt Bezug ge-nommen.

ANTRÄGE DER PARTEIEN:

Die Antragstellerin beantragt,

A.

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es zu unterlassen

I.1.

im Hoheitsgebiet des Königreichs Belgien und/oder der Republik Bulgarien und/oder des Kö-nigreichs Dänemark und/oder der Bundesrepublik Deutschland und/oder der Republik Estland und/oder der Republik Finnland und/oder Französischen Republik und/oder der Italienischen Re-publik und/oder der Republik Lettland und/oder der Republik Litauen und/oder des Großherzog-tums Luxemburg und/oder der Republik Malta und/oder der Niederlande und/oder der Republik Österreich und/oder der Portugiesischen Republik und/oder des Königreichs Schweden und/oder der Republik Slowenien Zeichenlesevorrichtungen, umfassend: einen oder mehrere Prozessoren; einen Speicher; ein Bildgebungssubsystem, das konfiguriert ist, um ein Bild von dekodierbaren Zeichen zu erfassen; eine Anzeige und eine Kommunikationsschnittstelle, wobei die Vorrichtung konfiguriert ist, um:

als Reaktion auf das Erfassen eines Bildes eines oder mehrerer Objekte innerhalb eines Sichtfel-des des Bildgebungssubsystems ein oder mehrere dekodierbare Zeichen innerhalb des Bildes zu lokalisieren und zu dekodieren; das Bild auf der Anzeige anzuzeigen und das eine oder die mehre-ren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen visuell zu kennzeichnen; um ein Produktbild an einer Stelle einer zugeordneten Bilddarstellung von jedem des einen oder der mehreren erfolg-reich dekodierten dekodierbaren Zeichen anzuzeigen, wobei das besagte Produktbild basierend auf einer aus einer Datenbank abgerufenen Nachschlagetabelle durch die besagte Vorrichtung den erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist; als Reaktion auf das Anneh-men einer Benutzereingabe, die mindestens ein erfolgreich dekodiertes dekodierbares Zeichen des/der angezeigten einen oder mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen aus-wählt, mindestens eine dekodierte Nachricht, die dem mindestens einen ausgewählten erfolg-reich dekodierten dekodierbaren Zeichen entspricht, und/oder mindestens ein Produktbild, das dem mindestens einen ausgewählten erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen zugeordnet.

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ist, und/oder Daten auszugeben, die bestimmt werden, wenn das mindestens eine ausgewählte erfolgreich dekodierte dekodierbare Zeichen dekodiert wird.

anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder ein- zuführen oder zu besitzen.

(unmittelbare Verletzung von Anspruch 1 des EP 3 866 051 B1)

I.1.a. hilfsweise zu Ziffer I.1.:

Dritten im Hoheitsgebiet im Hoheitsgebiet des Königreichs Belgien und/oder der Republik Bulgarien und/oder des Königreichs Dänemark und/oder der Bundesrepublik Deutschland und/oder der Republik Estland und/oder der Republik Finnland und/oder Französischen Republik und/oder der Italienischen Republik und/oder der Republik Lettland und/oder der Republik Litauen und/oder des Großherzogtums Luxemburg und/oder der Republik Malta und/oder der Niederlande und/oder der Republik Österreich und/oder der Portugiesischen Republik und/oder des Königreichs Schweden und/oder der Republik Slowenien Mittel, namentlich Software, die geeignet und bestimmt sind für Zeichenlesevorrichtungen, umfassend: einen oder mehrere Prozessoren; einen Speicher; ein Bildgebungssubsystem, das konfiguriert ist, um ein Bild von dekodierbaren Zeichen zu erfassen; eine Anzeige und eine Kommunikationsschnittstelle, wobei die Vorrichtung konfiguriert ist, um:

  • als Reaktion auf das Erfassen eines Bildes eines oder mehrerer Objekte innerhalb eines Sichtfeldes des Bildgebungssubsystems ein oder mehrere dekodierbare Zeichen innerhalb des Bildes zu lokalisieren und zu dekodieren;
  • das Bild auf der Anzeige anzuzeigen und das eine oder die mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen visuell zu kennzeichnen;
  • ein Produktbild an einer Stelle einer zugeordneten Bilddarstellung von jedem des einen oder der mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen anzuzeigen, wobei das besagte Produktbild basierend auf einer aus einer Datenbank abgerufenen Nachschlagetabelle durch die besagte Vorrichtung den erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist;
  • als Reaktion auf das Annehmen einer Benutzereingabe, die mindestens ein erfolgreich dekodiertes dekodierbares Zeichen des/der angezeigten einen oder mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen auswählt, mindestens eine dekodierte Nachricht, die dem mindestens einen ausgewählten erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen entspricht, und/oder mindestens ein Produktbild, das dem mindestens einen ausgewählten erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist, und/oder Daten auszugeben, die bestimmt werden, wenn das mindestens eine ausgewählte erfolgreich dekodierte dekodierbare Zeichen dekodiert wird.

zur Benutzung in einem oder mehreren dieser Staaten anzubieten und/oder zu liefern.

(mittelbare Verletzung von Anspruch 1 des EP 3 866 051 B1)

II.1.

Dritten im Hoheitsgebiet des Königreichs Belgien und/oder der Republik Bulgarien und/oder des Königreichs Dänemark und/oder der Bundesrepublik Deutschland und/oder der Republik Estland und/oder der Republik Finnland und/oder Französischen Republik und/oder der Italienischen Republik und/oder der Republik Lettland und/oder der Republik Litauen und/oder des Großherzogtums Luxemburg und/oder der Republik Malta und/oder der Niederlande und/oder der Republik Österreich und/oder der Portugiesischen Republik und/oder des Königreichs Schweden

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und/oder der Republik Slowenien Mittel, namentlich Software, die zur Durchführung eines Zeichenleseverfahrens geeignet und bestimmt sind, wobei das Verfahren umfasst:

Bereitstellen einer Zeichenlesevorrichtung, umfassend: einen oder mehrere Prozessoren; einen Speicher; ein Bildgebungssubsystem, das konfiguriert ist, um ein Bild von dekodierbaren Zeichen zu erfassen; eine Anzeige und eine Kommunikationsschnittstelle; als Reaktion auf das Erfassen eines Bildes eines oder mehrerer Objekte innerhalb eines Sichtfeldes des Bildgebungssubsystems, Lokalisieren eines oder mehrerer dekodierbarer Zeichen innerhalb des Bildes und Dekodieren; An-zeigen des Bildes auf der Anzeige und visuelles Kennzeichnen des einen oder der mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen; Zuordnen jedes von einem oder mehreren erfolgreich dekodierten Zeichen zu einem Produktbild basierend auf einer aus einer Datenbank abgerufenen Nachschlagetabelle; Anzeigen des Produktbildes an einer Stelle einer zugeordneten Bilddarstellung jedes der einen oder mehreren dekodierten Zeichen, und als Reaktion auf das Annehmen einer Benutzereingabe, die mindestens ein dekodierbares Zeichen des angezeigten einen oder der mehreren dekodierbaren Zeichen auswählt, Ausgeben mindestens einer dekodierten Nachricht, die dem mindestens einen ausgewählten dekodierbaren Zeichen entspricht, und/oder mindestens eines Produktbildes, das dem mindestens einen ausgewählten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist, und/oder von Daten, die bestimmt werden, wenn das mindestens eine ausgewählte dekodierbare Zeichen dekodiert wird zur Benutzung in einem oder mehreren dieser Staaten anzubieten und/oder zu liefern.

(mittelbare Verletzung von Anspruch 10 des EP 3 866 051 B1)

B.

Im Falle jeder Zuwiderhandlung gegen die Anordnung nach Ziffer A. hat die Antragsgegnerin an das Gericht ein (ggf. wiederholtes) Zwangsgeld in Höhe von bis zu EUR 100.000 für jeden Tag der Zuwiderhandlung zu zahlen.

C.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu erstatten.

D.

Die Anordnungen sind sofort wirksam und vollstreckbar.

Hilfsweise zu A (gem. Schriftsatz vom 13. Mai 2024):

A.

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es zu unterlassen

I.1.

im Hoheitsgebiet des Königreichs Belgien und/oder der Republik Bulgarien und/oder des Königreichs Dänemark und/oder der Bundesrepublik Deutschland und/oder der Republik Estland und/oder der Republik Finnland und/oder Französischen Republik und/oder der Italienischen Republik und/oder der Republik Lettland und/oder der Republik Litauen und/oder des Großherzogtums Luxemburg und/oder der Republik Malta und/oder der Niederlande und/oder der Republik Österreich und/oder der Portugiesischen Republik und/oder des Königreichs Schweden und/oder der Republik Slowenien Zeichenlesevorrichtungen, umfassend: einen oder mehrere Prozessoren; einen Speicher; ein Bildgebungssubsystem, das konfiguriert ist, um ein Bild von dekodierbaren

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Zeichen zu erfassen; eine Anzeige und eine Kommunikationsschnittstelle, wobei die Vorrichtung konfiguriert ist, um:

als Reaktion auf das Erfassen eines Bildes eines oder mehrerer Objekte innerhalb eines Sichtfeldes des Bildgebungssubsystems ein oder mehrere dekodierbare Zeichen innerhalb des Bildes zu lokalisieren und zu dekodieren; das Bild auf der Anzeige anzuzeigen und das eine oder die mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen visuell zu kennzeichnen; um ein Produktbild an einer Stelle einer zugeordneten Bilddarstellung von jedem des einen oder der mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen anzuzeigen, wobei das besagte Produktbild basierend auf einer aus einer Datenbank abgerufenen Nachschlagetabelle durch die besagte Vorrichtung den erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist; als Reaktion auf das Annehmen einer Benutzereingabe, die mindestens ein erfolgreich dekodiertes dekodierbares Zeichen des/der angezeigten einen oder mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen auswählt, mindestens eine dekodierte Nachricht, die dem mindestens einen ausgewählten erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen entspricht, und/oder mindestens ein Produktbild, das dem mindestens einen ausgewählten erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist, und/oder Daten auszugeben, die bestimmt werden, wenn das mindestens eine ausgewählte erfolgreich dekodierte dekodierbare Zeichen dekodiert wird.

anzubieten, in Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken entweder einzuführen oder zu besitzen.

(unmittelbare Verletzung von Anspruch 1 des EP 3 866 051 B1)

I.1.a. hilfsweise zu Ziffer I.1.:

Dritten im Hoheitsgebiet im Hoheitsgebiet des Königreichs Belgien und/oder der Republik Bulgarien und/oder des Königreichs Dänemark und/oder der Bundesrepublik Deutschland und/oder der Republik Estland und/oder der Republik Finnland und/oder Französischen Republik und/oder der Italienischen Republik und/oder der Republik Lettland und/oder der Republik Litauen und/oder des Großherzogtums Luxemburg und/oder der Republik Malta und/oder der Niederlande und/oder der Republik Österreich und/oder der Portugiesischen Republik und/oder des Königreichs Schweden und/oder der Republik Slowenien Mittel, namentlich Software, die geeignet und bestimmt sind für Zeichenlesevorrichtungen, umfassend: einen oder mehrere Prozessoren; einen Speicher; ein Bildgebungssubsystem, das konfiguriert ist, um ein Bild von dekodierbaren Zeichen zu erfassen; eine Anzeige und eine Kommunikationsschnittstelle, wobei die Vorrichtung konfiguriert ist, um:

als Reaktion auf das Erfassen eines Bildes eines oder mehrerer Objekte innerhalb eines Sichtfeldes des Bildgebungssubsystems ein oder mehrere dekodierbare Zeichen innerhalb des Bildes zu lokalisieren und zu dekodieren; das Bild auf der Anzeige anzuzeigen und das eine oder die mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen visuell zu kennzeichnen; ein Produktbild an einer Stelle einer zugeordneten Bilddarstellung von jedem des einen oder der mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen anzuzeigen, wobei das besagte Produktbild basierend auf einer aus einer Datenbank abgerufenen Nachschlagetabelle durch die besagte Vorrichtung den erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist; als Reaktion auf das Annehmen einer Benutzereingabe, die mindestens ein erfolgreich dekodiertes dekodierbares Zeichen.

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des/der angezeigten einen oder mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen aus- wählt, mindestens eine dekodierte Nachricht, die dem mindestens einen ausgewählten erfolg- reich dekodierten dekodierbaren Zeichen entspricht, und/oder mindestens ein Produktbild, das dem mindestens einen ausgewählten erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist, und/oder Daten auszugeben, die bestimmt werden, wenn das mindestens eine ausgewählte erfolgreich dekodierte dekodierbare Zeichen dekodiert wird.

zur Benutzung in einem oder mehreren dieser Staaten anzubieten und/oder zu liefern.

(mittelbare Verletzung von Anspruch 1 des EP 3 866 051 B1)

II.1.

Dritten im Hoheitsgebiet des Königreichs Belgien und/oder der Republik Bulgarien und/oder des Königreichs Dänemark und/oder der Bundesrepublik Deutschland und/oder der Republik Est- land und/oder der Republik Finnland und/oder Französischen Republik und/oder der Italienischen Republik und/oder der Republik Lettland und/oder der Republik Litauen und/oder des Großher- zogtums Luxemburg und/oder der Republik Malta und/oder der Niederlande und/oder der Re- publik Österreich und/oder der Portugiesischen Republik und/oder des Königreichs Schweden und/oder der Republik Slowenien Mittel, namentlich Software, die zur Durchführung eines Zei- chenleseverfahrens geeignet und bestimmt sind, wobei das Verfahren umfasst:

Bereitstellen einer Zeichenlesevorrichtung, umfassend: einen oder mehrere Prozessoren; einen Speicher; ein Bildgebungssubsystem, das konfiguriert ist, um ein Bild von dekodierbaren Zeichen zu erfassen; eine Anzeige und eine Kommunikationsschnittstelle; als Reaktion auf das Erfassen eines Bildes eines oder mehrerer Objekte innerhalb eines Sichtfeldes des Bildgebungssubsystems, Lokalisieren eines oder mehrerer dekodierbarer Zeichen innerhalb des Bildes und Dekodieren; An- zeigen des Bildes auf der Anzeige und visuelles Kennzeichnen des einen oder der mehreren erfolg- reich dekodierten dekodierbaren Zeichen; Zuordnen jedes von einem oder mehreren erfolgreich dekodierten Zeichen zu einem Produktbild basierend auf einer aus einer Datenbank abgerufenen Nachschlagetabelle; Anzeigen des Produktbildes an einer Stelle einer zugeordneten Bilddarstel- lung jedes der einen oder mehreren dekodierten Zeichen, und als Reaktion auf das Annehmen ei- ner Benutzereingabe, die mindestens ein dekodierbares Zeichen des angezeigten einen oder der mehreren dekodierbaren Zeichen auswählt, Ausgeben mindestens einer dekodierten Nachricht, die dem mindestens einen ausgewählten dekodierbaren Zeichen entspricht, und/oder mindestens eines Produktbildes, das dem mindestens einen ausgewählten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist, und/oder von Daten, die bestimmt werden, wenn das mindestens eine ausgewählte dekodierbare Zeichen dekodiert wird zur Benutzung in einem oder mehreren dieser Staaten anzubieten und/oder zu liefern.

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(mittelbare Verletzung von Anspruch 10 des EP 3 866 051 B1)

Die Antragsgegnerin beantragt:

  1. Der Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen wird zurückgewiesen.
  2. Hilfsweise: Über den Antrag wird nicht ohne mündliche Verhandlung entschieden.
  3. Höchst hilfsweise: Die Fortsetzung des angegriffenen Verhaltens wird von einer Sicherheitsleistung der Antragsgegnerin abhängig gemacht.
  4. Höchst hilfsweise: Die Anordnung oder die Vollziehung der einstweiligen Maßnahmen wird von einer Sicherheitsleistung der Antragstellerin abhängig gemacht.
  5. Für den Fall der Zurückweisung des Antrags oder seiner Zurücknahme: Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
  6. Zusätzlich: Die Hilfsanträge der Antragstellerin vom 13. Mai 2024 werden zurückgewiesen.
  7. Die Antragstellerin trägt auch soweit die Kosten des Verfahrens.

TATSÄCHLICHE UND RECHTLICHE STREITPUNKTE

Die Antragstellerin sieht in Angebot und im Vertrieb der Software-Programmbibliothek „Data Capture SDK“ (angegriffenen Ausführungsform) insbesondere in Deutschland und Frankreich eine unmittelbare bzw. mittelbare Verletzung der Ansprüche 1 und 10 des Streitpatents. Sie veranschaulicht die unterschiedlichen Verwendungsmöglichkeiten des Software Development Kits (nachfolgend „SDK“) anhand der Dokumentation Anlage BP 3b sowie anhand der nachfolgenden von der Antragsgegnerin mit Videos beworbenen Anwendungsbeispiele:

  1. Video „Barcode Scanner SDK“ abrufbar unter https://www.scandit.com/de/produkte/barcode-scanner-sdk/ (CD-Rom Anlage BP 3d, Screenshots Anlage BP 3e)
  2. Video „Matrix Scan AR” (auf der Grundlage der „Electronics Demo App“) abrufbar unter https://www.scandit.com/de/produkte/augmented-reality/ (CD-Rom Anlage BP 3f, Screenshots Anlage BP 3g)

Die Antragstellerin argumentiert, dass die Antragsgegnerin die geltend gemachten Patentan-

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sprüche nicht nur mittelbar, sondern auch unmittelbar verletze. Denn bei zutreffender Be-

trachtung könne es nicht darauf ankommen, dass es Kunden der Antragsgegnerin obliege, aus

dem angebotenen Software Development Kit eine ausführbare Software zu erstellen, die die pa-

tentgemäßen Eigenschaften aufweise, und diese sodann auf ein elektronisches Gerät aufzuspie-

len. Es liege eine unmittelbare Patentverletzung vor, wenn der Patentverletzer ein Produkt in

Einzelteile zerlegt ausliefere und seine Abnehmer anweise, diese Einzelteile zu einer patentver-

letzenden Konstruktion zusammenzufügen. Ein von der Antragsgegnerin beworbener Vorteil ih-

res SDK liege darin, dass die damit erstellte Software auf (nahezu) allen handelsüblichen Smart-

phones und Tablets ausführbar sei und die Abnehmer der Antragsgegnerin somit keine spezielle

Hardware benötigten, sondern auf allgemein verfügbare Geräte zurückgreifen könnten. Das

Baukastenprinzip des SDK bringe es zudem mit sich, dass die Abnehmer der Antragsgegnerin

nicht jede Funktion, die dieser Baukasten biete, nutzen müssten. Es sei möglich, aus dem SDK

eine ausführbare Software zu erstellen, die die patentgemäßen Funktionen nicht aufweise. Aller-

dings leite die Antragsgegnerin ihre Abnehmer gezielt dazu an, das SDK so zu nutzen, dass damit

eine patentverletzende Software hergestellt werde. Die Antragsgegnerin stelle unstreitig die bei-

den vorgelegten Videos sowie eine ausführliche Dokumentation auf ihrer Internetseite zur Ver-

fügung, durch die nicht nur dafür geworben werde, dass sich aus dem SDK eine patentverlet-

zende ausführbare Software erstellen lasse. Die Antragsgegnerin leite ihre Abnehmer insbeson-

dere in der von ihr bereitgestellten Dokumentation ausdrücklich dazu an, diese Funktionen zu

implementieren.

Der Rechtsbestand des Streitpatents sei hinreichend gesichert. Zugunsten bereits erteilter Pa-

tente bestehe eine Vermutung zu Gunsten des Rechtsbestandes. Die Beweislast für dessen Feh-

len liege auf Seiten der Antragsgegnerin.

Die Anordnung einstweiliger Maßnahmen sei notwendig. Der Antragstellerin würde erheblicher

Schaden drohen, wenn sie ihren Unterlassungsanspruch erst im Wege eines Hauptsache-verfah-

rens durchsetzen könnte. Die Antragstellerin werde durch die angeführten Verletzungs-handlun-

gen der Antragsgegnerin in großem Umfang in ihren sich aus dem Verfügungspatent ergeben-

den Rechten verletzt. Die Parteien seien Wettbewerber beim Vertrieb von Lesegeräten und Soft-

ware zum Dekodieren von Barcodes. Die Antragsgegnerin beliefere nach eigenen Angaben

sechs der zehn führenden „Fortune 500“-Unternehmen und ihre Technologie werde aktuell auf

mehr als 150 Millionen Geräten eingesetzt. Dies führe zu einem kaum rückgängig zu machenden

Verlust an Marktanteilen der Antragstellerin. Die Vermarktungsaktivitäten der Antragsgegnerin

seien geeignet, erhebliche, insbesondere langfristige Schäden der Antragstellerin zu verursa-

chen, indem sie die Marktanteile der Antragstellerin unmittelbar schmälerten. Diese Verringe-

rung der Marktchancen der Antragstellerin könne nicht rein monetär ausgeglichen werden. Das

Verfügungspatent verliere jeden Tag ohne Durchsetzungsmöglichkeit an Laufzeit, innerhalb de-

rer der Schutz eigener Absatzmöglichkeiten durch das Ausschließlichkeitsrecht des Verfügungs-

patents nur gewährleistet sei. Dieser zeitliche Wert des Verfügungspatents sei unumkehrbar.

Hinzu komme ferner, dass mit Blick auf die Abnehmer von Barcodescannerprodukten nicht von

einer schnellen Wechselbereitschaft zu Produkten eines anderen Herstellers, namentlich der An-

tragstellerin, auszugehen sei. Ein Unternehmen, das seinen Betrieb auf einen bestimmten Scan-

ner und die entsprechende Scannersoftware ausgerichtet und insbesondere seine Mitarbeiter zu

einer bestimmten Benutzeroberfläche der Software geschult habe, werde kurz- und mittelfristig

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davon absehen, ein anderes Scannerprodukt zu erwerben. Denn dies würde einen Umstellungs- aufwand der betrieblichen Abläufe und einen Schulungsaufwand für die Mitarbeiter bedeuten, den die entsprechenden Unternehmen betriebswirtschaftlich zu vermeiden suchten.

Der Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen sei dringlich. Er sei am 21. Februar 2024 erfolgt und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt und ohne ein unangemessenes Zuwarten (R 211.4 VerfO). Das Streitpatent sei erst am 21. Februar 2024, also am selben Tag, erteilt worden.

Der Erlass der beantragten Anordnungen sei auch nach der vorzunehmenden Interessenabwä- gung (Art. 62 Abs. 2 EPGÜ, R 211.3 VerfO) veranlasst. Ohnehin sollte die vorzunehmende Inte- ressenabwägung so verstanden werden, dass sie zur Abfederung unbilliger Härten im Einzelfall diene, grundsätzlich jedoch eine einstweilige Verfügung zu erlassen sei, wenn die übrigen Vo- raussetzungen, vor allem jene des Art. 62 EPGÜ, vorlägen (Bopp/Kircher, Handbuch Europäi- scher Patentprozess, 2. Aufl. 2023, § 22, Rn. 94). Solche Härten seien auf Seiten der Antragsgeg- nerin nicht ersichtlich. Insbesondere dürfte es für die Antragsgegnerin möglich sein, die streit- gegenständliche Funktion mittels eines Updates aus der von ihr vertriebenen Software zu ent- fernen. Dafür sprecht das erläuterte „Software Development Kit“, das eine ganze Reihe unter- schiedlicher Funktionen aufweise, die vorliegend nicht angegriffen würden. Ausweislich der Do- kumentation der Software sei es keineswegs zwingend, dass bei der Verwendung der Software alle Funktionalitäten genutzt werden. Zwar erläutere die Antragsgegnerin in ihren Werbevideos und der Dokumentation, wie die streitgegenständliche Funktion eingesetzt werden könne, der Benutzer könne aber selbst entscheiden, diese Funktion nicht zu nutzen. Dementsprechend könne die Antragsgegnerin die Werbung für die streitgegenständliche Funktion und alle ähnli- chen Funktionen, die die Merkmale des Verfügungspatents verwirklichen sowie die entspre- chenden Teile ihrer Software entfernen, ohne dass die Software dadurch insgesamt unbrauch- bar werde.

Nach Auffassung der Antragsgegnerin machen die angegriffene Ausführungsform von der tech- nischen Lehre des Streitpatents keinen Gebrauch. Jedenfalls Merkmal 1.8 des Anspruchs 1 bzw. die Merkmale 1.8 und 1.9 des Anspruchs 10 seien nicht verwirklicht.

Das Video „Barcode Scanner SDK“ zeige bereits kein tatsächlich vorhandenes Programm. Das Video zeige nicht das Software Development Kit. Das Video zeige auch nicht ein tatsächlich vor- handenes Computerprogramm. Es handele sich um ein Video zu Werbezwecken, dass eine mög- liche Nutzung von Programmbibliotheken des Software Development Kits zeige. Für das Video sei nicht einfach ein vorhandenes Computerprogramm „abgefilmt“ worden. Stattdessen seien Videoaufnahmen nachträglich bearbeitet („Post Production“) worden. Dabei seien insbesondere die Hervorhebung der Barcodes und das Einblenden eines Produktbilds (die Schraube) nachträglich im Video ergänzt worden. Das Video zeige mithin die fiktive Ausgabe eines Computerpro- gramms, das es so nicht gebe. Die von der Antragstellerin angegriffene „Ausführungsform 1“ gebe es daher nicht.

Das Video „Matrix Scan AR“ der Antragsgegnerin (Stichwort „eingeblendeter Kopfhörer“) zeige ebenfalls nicht das Software Development Kit. Es zeige ein lauffähiges Computerprogramm, das die Antragsgegnerin zu Vorführzwecken entwickelt habe und das eine mögliche Nutzung von Programmbibliotheken des Software Development Kits zeige (im Folgenden die „Electronics Demo App“). Das Computerprogramm habe einen stark eingeschränkten Leistungsumfang. Ver- wendet werden könnten nur eine Reihe beispielhafter Barcodes und beispielhafte Bilddateien, die von der Antragsgegnerin vorgegeben würden; auf andere Barcodes reagiere das Programm.

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nicht. Weiter zeige diese App zwar ein Produktbild an. Sie zeige das Produktbild aber nicht an der patentgemäßen Stelle. Bei der „Electronics Demo App“ überlagere das Produktbild den Barcode nicht. Der Barcode sei vollständig sichtbar. Die App nutze auch keine patentgemäße Datenbank. Die „Electronics Demo App“ nutze zur Zuordnung eines dekodierten Zeichens zu einem Produktbild eine im Speicher getrennt abgelegte Datenstruktur. In der Datenstruktur seien bestimmten dekodierten Zeichen die Namen bestimmter Bilddateien gegenübergestellt. Die Datenstruktur enthalte selbst aber keine Produktbilder. Die Bilddateien würden von der „Electronics Demo App“ getrennt abgelegt. Verwendet werden könnten nur eine Reihe beispielhafter Barcodes und beispielhafte Bilddateien, die von der Antragsgegnerin vorgegeben würden. Die „Electronics Demo App“ suche in der Datenstruktur nach dem dekodierten Zeichen. Wenn die „Electronics Demo App“ das dekodierte Zeichen in der Datenstruktur finde, lese sie aus der Datenstruktur den Namen der Bilddatei aus, die dem dekodierten Zeichen in der Datenstruktur gegenübergestellt werde. Anschließend rufe es mit Hilfe des Namens der Bilddatei die Bilddatei auf. Die Bilddatei befinde sich aber nicht innerhalb der Datenstruktur. Die Datenstruktur sei deshalb keine Nachschlagetabelle, die aus einer patentgemäßen Datenbank abgerufen werde. Die „Electronics Demo App“ verwendet keine solche Datenbank. Dass sich auf der Vorrichtung außer der Datenstruktur auch die Bilddateien befänden, ändert daran nichts. Eine Vorrichtung werde nicht schon dadurch zu einer Datenbank, weil auf ihr sinnvoll geordnet und einzeln abrufbar getrennt voneinander Daten gespeichert seien. Falls das richtig wäre, wäre jedes Datenverarbeitungsgerät eine Datenbank. Aus dem Vortrag der Antragstellerin ergebe sich nichts anderes. Sie trage bereits nicht vor, dass die „Electronics Demo App“ eine Nachschlagetabelle aus einer Datenbank abrufe. Sie trage auch nicht vor, dass die „Electronics Demo App“ eine Datenbank mit Produktbildern verwende. Die Antragstellerin belasse es bei Ausführungen dazu, dass jedem dekodierten Zeichen mit Hilfe einer elektronisch abrufbaren Verknüpfung ein Produktbild zugeordnet werde. Zur Frage, woher diese elektronisch abrufbare Verknüpfung abgerufen werde, äußere sie sich nicht. Der Vortrag der Antragstellerin sei soweit streng genommen bereits nicht schlüssig.

Eine unmittelbare Patentverletzung durch das Software Development Kit scheide auch deshalb aus, weil das Software Development Kit kein selbständig lauffähiges Computerprogramm sei. Es könne bereits deshalb nicht die patentgemäßen Merkmale erfüllen. Unter anderem könne es nicht Bilder von dekodierbaren Zeichen erfassen, diese Zeichen lokalisieren, dekodieren, kennzeichnen oder Produktbilder anzeigen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den Videos, die die Antragstellerin vorgelegt habe.

Die Antragsgegnerin müsse sich, was die Nutzung ihres Software Development Kits durch ihre Kunden betreffe, auch nicht das Handeln ihrer Kunden zurechnen lassen. Die abweichende Auffassung der Antragstellerin sei falsch. Nach dieser Auffassung ließen sich unmittelbare Patentverletzung und mittelbare Patentverletzung nicht mehr voneinander abgrenzen. Für die besonderen Regeln zur mittelbaren Patentverletzung bliebe kaum mehr ein sinnvoller Anwendungsbereich. Nach den Maßstäben der Antragstellerin wäre so gut wie jede mittelbare Patentverletzung auch eine unmittelbare Patentverletzung.

Es liege aber auch keine mittelbare Patentverletzung vor. Denn das Software Development Kit sei kein Mittel, dass sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehe. Die Antragsgegnerin stelle mit dem Software Development Kit unstrittig keine Produktbilder, Datenbanken mit Produktbildern oder Nachschlagetabellen bereit, die bestimmten dekodierten Zeichen bestimmte Produktbilder gegenüberstellten. Diese sei aber für die Erfindung wesentlich.

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Erfindung gehe es im Wesentlichen um eine bestimmte Art und Weise der Zuordnung dekodier- ter Zeichen zu Produktbildern. Falls die angegriffenen Funktionen patentverletzend sein sollten, würden die betroffenen Programmbibliotheken des Software Development Kits nur gelegentlich der Benutzung der Erfindung verwendet. Die Programmbibliotheken würden nur für Verfahrens- schritte verwendet, die den patentgemäßen Verfahrensschritten vorgelagert bzw. nachgelagert seien. Die patentgemäße Zuordnung dekodierter Zeichen zu Produktbildern übernehmen nicht die Programmbibliotheken, sondern Teile der Computerprogramme, die von den Nutzern des Software Development Kits ergänzt würden.

Das Software Development Kit der Antragsgegnerin sei auch nicht für eine patentgemäße An- zeige der Produktbilder bestimmt. Die betroffenen Programmbibliotheken ließen offen, wo die Anzeige der Produktbilder erfolge. Das gleiche gilt für die Dokumentation. Die Antragsgegnerin lege den Nutzern des Software Development Kit auch nicht nahe, die Produktbilder auf patent- verletzende anzuzeigen. Das gelte insbesondere mit Blick auf die „Electronics Demo App“ der Antragsgegnerin. Bei der „Electronics Demo App“ würden die Produktbilder gerade nicht an der patentgemäßen Stelle angezeigt. Bei der „Electronics Demo App“ bleibe der Barcode vollständig sichtbar.

Das Software Development Kit der Antragsgegnerin sei weiter nicht für die patentgemäße Art und Weise bestimmt, wie ein dekodiertes Zeichen einem Produktbild zugeordnet werde. Die be- troffenen Programmbibliotheken ließen offen, wie die Zuordnung erfolge. Das gleiche gelte für die Dokumentation. Eine Zuordnung, bei der die Vorrichtung ein dekodiertes Zeichen an eine ex- terne Datenbank gebe und diese Datenbank daraufhin lediglich ein Produktbild an die Vorrich- tung zurückgebe (und nicht die vollständige Nachschlagetabelle der Datenbank) wäre gerade nicht verletzend. Die Antragsgegnerin lege den Nutzern des Software Development Kit auch nicht nahe, die Produktbilder auf patentverletzende Art und Weise zuzuordnen. Das gelte insbe- sondere mit Blick auf die „Electronics Demo App“ der Antragsgegnerin. Bei der „Electronics Demo App“ erfolge die Zuordnung gerade nicht auf patentgemäße Weise. Bei der „Electronics Demo App“ werde die Nachschlagetabelle nicht aus einer Datenbank abgerufen, die auch die Produktbilder enthalte.

Jedenfalls ginge bei der Annahme einer mittelbaren Patentverletzung ein unbeschränktes Ver- bot zu weit. Das Software Development Kit könne in großem Umfang auch für nicht patentver- letzende Zwecke verwendet werden. Der Schwerpunkt der Funktionen liege im nicht patentver- letzenden Bereich. Die Antragstellerin trage beides selbst vor. Auch die Programmbibliotheken, die für die angegriffenen Funktionen verwendet werden können, könnten in großem Umfang auch für nicht patentverletzende Zwecke verwendet werden (nämlich dann, wenn keine Pro- duktbilder eingeblendet werden). Falls im Anbieten des Software Development Kit tatsächlich eine mittelbare Patentverletzung liegen sollte (was die Antragsgegnerin bestreite), würde des- halb ein Warnhinweis genügen, dass das Software Development Kit nicht ohne Zustimmung der

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Antragstellerin zur Herstellung von Computerprogrammen benutzt werden dürfe, die vom Patentschutz umfasst seien. Ein Schlechthin-Verbot wäre dem gegenüber vollkommen unverhältnismäßig.

Auf ein etwaiges Vorbenutzungsrecht der Antragsgegnerin komme es nach Auffassung der Antragsgegnerin nicht an. Falls das Gericht anderer Auffassung sein sollte, bitte sie um entsprechenden richterlichen Hinweis.

Der Rechtsbestand sei nicht in dem für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erforderlichen Umfang gesichert.

Mit Blick auf den vorgelegten Stand der Technik komme es auf eine offenkundige Vorbenutzung der angegriffenen Ausführungsform durch die Antragsgegnerin nicht mehr an. Falls das Gericht anderer Auffassung sein sollte, bitte sie um einen entsprechenden richterlichen Hinweis. Das Software Development Kit der Antragsgegnerin habe bereits seit den Jahren 2010 bzw. 2011 Programmbibliotheken enthalten, die für die angegriffenen Funktionen hätten verwendet werden können. Die Antragsgegnerin habe das Software Development Kit seitdem auch auf eine Art und Weise beworben, aus der die Antragstellerin nunmehr eine mittelbare Patentverletzung herauslesen möchte.

Jedenfalls beschränke sich die Antragsgegnerin - wie vom Gericht angeregt - auf drei Lösungen aus dem Stand der Technik (vgl. Schriftsatz vom 28. Mai 2024, S. 3, Rn. 331), nämlich die „Flow App“, die „Barinsa App“ und die JP 2009/093489 (im Folgenden „die japanische Patentschrift“). Die unter Schutz gestellte technische Lehre sei gegenüber der Flow App und der Barinsa App nicht neu. Jedenfalls fehle es ausgehend von der japanischen Patentschrift an einer erfinderischen Tätigkeit.

Auch die beschränkt geltend gemachten Ansprüche seien nicht rechtsbeständig. Diese seien, wie die erteilten Ansprüche, unzulässig erweitert. Bereits die Art und Weise, wie die Antragstellerin die Ansprüche beschränkt geltend mache, dürfte fragwürdig sein. Die Ansprüche verlangten, dass „das eine“ oder „die mehreren“ erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen visuell gekennzeichnet werden usw. Hier könnte von alternativen Szenarien die Rede sein. Die beschränkt geltend gemachten Ansprüche seien auch durch die beiden Apps nahegelegt.

Die Antragstellerin habe ihren Antrag auch unangemessen verzögert. Die Merkmale des Kits sowie die angeblich rechtsverletzenden Aktivitäten der Antragsgegnerin seien der Antragstellerin spätestens seit November 2022 bekannt gewesen. Die Unternehmensgruppe der Antragstellerin habe die Antragsgegnerin bereits im Mai 2019 (Anlage FR 20) wegen angeblicher Patentverletzung angesprochen. Der Vorwurf habe sich auch auf die Patentfamilie des Verfügungspatents gestützt. Die Antragstellerin habe auch das US-Patent 9208367 geltend gemacht, dessen Priorität das Verfügungspatent unter anderem in Anspruch nehme. Die Antragstellerin habe sich bereits damals gegen das Software Development Kit der Antragsgegnerin gewandt. Im Februar 2023 (Anlage FR 21) habe die Unternehmensgruppe der Antragstellerin die Vorwürfe wiederholt. Vorgegangen sei sie aber erst am 21. Februar 2024.

Die Anordnung einstweiliger Maßnahmen sei nicht notwendig. Das Einheitliche Patentgericht sei darauf ausgelegt, gegebenenfalls innerhalb eines Jahres eine endgültige Unterlassungsverfügung zu erlassen. Daher sei die Anordnung einstweiliger Maßnahmen nur unter besonderen Umständen notwendig und zulässig. Ein Schaden, der durch Schadenersatz ausgeglichen werden könne, könne nicht per se die Anordnung einstweiliger Maßnahmen rechtfertigen. Vielmehr

müsse ein derartiger Schaden so groß sein, dass er nicht durch Schadenersatz am Ende des Pro-

zesses behoben werden könne. Die Gefahr eines solchen Schadens habe die Antragstellerin nicht nachgewiesen. Die Produkte der Antragstellerin und die angegriffenen Ausführungsformen seien nicht austauschbar, so dass der Antragstellerin kein Verlust von Marktanteilen drohe. Selbst wenn es zu Marktanteilsverlusten komme, würden diese im Fall einer Unterlassungsan-

ordnung nach dem Prozess aufhören. Die bloße Behauptung oder auch nur die Feststellung ei-

nes möglichen Verlusts von Marktanteilen mache die Anordnung einstweiliger Maßnahmen nicht per se erforderlich oder bürge die Gefahr eines erheblichen oder nicht wiedergutzuma-

chenden Schadens. Im Übrigen sei der bei Erlass einer Unterlassungsanordnung zu einem späte-

ren Zeitpunkt entstehende Schaden gering.

Etwaige Schäden für die Antragstellerin wären zudem zu vernachlässigen. Von Belang seien so-

weit nur etwaige zusätzliche Schäden, die durch ein Zuwarten bis zu einer vorläufig vollstreckba-

ren Hauptsacheentscheidung zu erwarten wären. Der Umfang solcher Schäden wäre ausgespro-

chen überschaubar. Das gelte auch mit Blick darauf, dass die Antragstellerin das Software Deve-

lopment Kit seit vielen Jahren geduldet habe. Das Software Development Kit der Antragsgegne-

rin sei nicht neu. Die Antragsgegnerin biete es bereits seit vielen Jahren an. Das gelte gerade

auch mit Blick auf die als patentverletzend angegriffenen möglichen Funktionen von Computer-

programmen, die mit dem Software Development Kit erstellt werden könnten. Die Antragsgeg-

nerin habe sich mit ihrem Software Development Kit bereits seit langem einen Marktanteil auf

dem einschlägigen Markt erarbeitet. Das Software Development Kit ermögliche nicht nur das Er-

stellen von Computerprogrammen mit den Funktionen, die die Antragstellerin als patentverlet-

zend angreife. Die Funktionen seien nicht zwingend Bestandteil der erstellten Computerpro-

gramme, sondern nur mögliche Bestandteile. Die Funktionen seien nur ein kleiner Teil der Funk-

tionen, deren Bereitstellung das Software Development Kit ermögliche. Sie seien auch nicht die

wichtigsten Funktionen, deren Bereitstellung das Software Development Kit ermögliche. Die Art

und der Umfang, wie die Antragsgegnerin ihr Software Development Kit anbiete, haben sich in

letzter Zeit nicht wesentlich geändert. Die Antragsgegnerin habe auch keine entsprechenden

Pläne. Das gelte jedenfalls für die als patentverletzend angegriffenen Funktionen, die mit dem

Software Development Kit bereitgestellt werden könnten. Es sei nicht zu erwarten, dass sich die

Intensität einer etwaigen Verletzung demnächst vergrößern würde. Die Antragstellerin habe in-

soweit auch nichts vorgetragen. Bei der „Electronics Demo App“ komme dazu, dass es sich um

ein Computerprogramm für Vorführzwecke handele. Die Antragsgegnerin verkaufe die „Electro-

nics Demo App“ nicht, sondern gebe sie kostenlos ab. Das Computerprogramm habe einen stark

eingeschränkten Leistungsumfang. Verwendet werden könnten nur eine Reihe beispielhafter

Barcodes und beispielhafte Bilddateien, die von der Antragsgegnerin vorgegeben würden; auf

andere Barcodes reagiere das Programm nicht. Wirtschaftlich gesehen sei die „Electronics Demo

App“ so gut wie bedeutungslos.

Die Schäden für die Antragsgegnerin bei Anordnung der beantragten einstweiligen Maßnahmen

wären hingegen beträchtlich. Der Antragsgegnerin drohe eine kaum wiedergutzumachende Ruf-

schädigung. Abgesehen davon drohe ihr eine schwerwiegende Unterbrechung und Beeinträchti-

gung ihres Geschäftsbetriebs. Das gleiche gelte für die Kunden der Antragsgegnerin, die das

Software Development Kit der Antragsgegnerin zur Erstellung und Pflege eigener Computerpro-

gramme verwendeten. Die Antragsgegnerin wäre gezwungen, ihr Software Development Kit vo-

rübergehend nicht mehr uneingeschränkt anzubieten. Sie wäre auch daran gehindert, laufend

Fehlerkorrekturen, Anpassungen und Verbesserungen anzubieten, beispielsweise bei Änderung

der Betriebssysteme der genutzten Geräte. Anschließend müsste sie das Software Development

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Kit so überarbeiten, dass es die Programmbibliotheken für die als patentverletzend angegriffenen Funktionen nicht mehr enthielte. Das gleiche gelte für die begleitende Dokumentation, die sonst tatsächlich nicht verfügbare Funktionen nahelegen würde. Das überarbeitete Software Development Kit müsste vor Freigabe anschließend auch getestet werden. Das sei bei Software Development Kits ihrem Wesen nach aufwändiger und anspruchsvoller als bei Computerprogrammen. Es gehe um Programmbibliotheken zur Erstellung von Computerprogrammen. Getestet werden müssten auch beispielhafte mit dem Software Development Kit erstellte Software. Die Antragsgegnerin schätze, dass die Änderung und das Testen des Software Development Kits und der dazugehörigen Dokumentation beträchtliche Kalender- und Entwicklungszeit verlangen würde. Während dieses Zeitraums wäre die Antragsgegnerin nicht in der Lage, ihr Software Development Kits uneingeschränkt anzubieten. Das würde nicht nur ein Anwerben neuer Kunden beeinträchtigen. Es würde auch bestehende Kundenbeziehungen in kaum wiedergutzumachender Art und Weise beschädigen, einschließlich Kundenbeziehungen, die nichts mit dem Verfügungspatent zu tun hätten. Das gelte insbesondere mit Blick darauf, dass die Antragsgegnerin vorübergehend auch laufende Fehlerkorrekturen, Anpassungen und Verbesserungen für die betroffenen Programmbibliotheken nicht mehr anbieten könnte. Das falle auch deshalb ins Gewicht, weil die Kunden der Antragsgegnerin das Software Development Kit der Antragsgegnerin auch zur laufenden Pflege eigener Computerprogramme verwendeten.

Der Hilfsantrag dürfte jedenfalls nicht mehr dringlich sein. Auf angebliche Sachverhalte mit mehreren dekodierbaren Zeichen habe sich die Antragstellerin erstmals in ihrer Replik vom 13. Mai 2024 gestützt. Das sei fast drei Monate nach Einreichung des Verfügungsantrags am 21. Februar 2024 geschehen. Die Antragstellerin habe damit offensichtlich nicht auf neue Entwicklungen im Sachverhalt, sondern auf die Einlassung der Antragsgegnerin zur fehlenden Rechtsbeständigkeit des Streitpatents reagiert. Die Verteidigungsmöglichkeiten der Antragsgegnerin würden drastisch verkürzt. Mit dem Dringlichkeitserfordernis wäre es nicht zu vereinbaren, wenn die Antragstellerin mehrere Monate nach Verfahrensbeginn ihren Antrag „auf den letzten Metern“ nach Belieben umstellen könnte. Der Fall liege nicht anders, als wenn die Antragstellerin verspätet die (vermeintliche) Verletzung eines zweiten Patents geltend machen würde, die von Anfang an zu erkennen gewesen sei (vgl. OLG München, Urteil vom 12. Oktober 2023, Az. 6 U 2570/23 e, zur Umstellung des Verfügungsantrags auf eingeschränkte Anspruchsfassung nach Angriff auf Rechtsbestand, unveröffentlicht). Das dürfe auch in Verfügungsverfahren vor dem EPG nicht möglich sein.

Im Rahmen der stets erforderlichen Interessenabwägung seien insbesondere die schwerwiegenden Zweifel an der Rechtsbeständigkeit des Streitpatents zu berücksichtigen. Diese Zweifel bestünden auch soweit das Streitpatent Vorrichtungen abdeckt, die mehrere dekodierbare Zeichen lokalisierten, dekodierten, kennzeichneten und dazu gleichzeitig Produktbilder usw. anzeigten.

Die Antragstellerin ist dem Vorbringen der Antragsgegnerin entgegengetreten.

Ergänzend wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen. Dies gilt insbesondere in Bezug auf Vortrag zu Verletzung.

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GRÜNDE DER ANORDNUNG

Der zulässige Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen ist teilweise begründet.

I. Aktivlegitimation

Die Antragstellerin ist als eingetragene Inhaberin des Streitpatents gemäß Art. 47 Abs. 1 EPGÜ i.V.m. R. 8.5 (a) und (c) VerfO antragsberechtigt. Da die Antragsgegnerin die Aktivlegitimation nicht in Zweifel zieht, sind keine weiteren Ausführungen hierzu veranlasst.

II. Verletzung

Die Lokalkammer München ist mit ausreichender Sicherheit (R. 211.2 VerfO) davon überzeugt, dass die Antragstellerin durch das Angebot und den Vertrieb der angegriffenen Ausführungsform innerhalb der Vertragsmitgliedsstaaten, insbesondere in Deutschland und Frankreich, in ihrem Recht verletzt wird. Bei summarischer Prüfung machen die angegriffenen Ausführungsformen mittelbar und wortsinngemäß von der durch die Patentansprüche 1 und 10 unter Schutz gestellten technischen Lehre des Streitpatents in der erteilten Fassung Gebrauch (Art. 26 EPGÜ). Eine unmittelbare Verletzung des Patentanspruchs 1 (Art. 25 EPGÜ) lässt sich demgegenüber weder für die erteilte noch für die eingeschränkt geltend gemachte Fassung feststellen.

  1. Das Streitpatent betrifft digitale Geräte zum Auslesen dekodierbarer Zeichen wie etwa Barcodes. Dabei werden Kennungen insbesondere optisch mittels einer Kamera ausgelesen und die in der Kennung kodierten Informationen für den Benutzer wiedergegeben.

Das Streitpatent setzt maschinell und damit automatisiert lesbare Kennungen wie Barcodes, mit denen verschiedene Informationen dargestellt werden können, als bekannt voraus (vgl. Streitpatent [0003]). Solche dekodierbaren Zeichen können mit Lesegeräten erkannt und dekodiert werden, wobei im Falle von Barcodes optische Lesegeräte, wie digitale Kameras, verwendet werden können (Streitpatent, [0005]). Lesegeräte zum Lesen dekodierbarer Zeichen gibt es in zahlreichen Varianten. Das Streitpatent nennt hierfür zahlreiche Beispiele, insbesondere auch Geräte wie Smartphones, die über einen Touch Screen verfügen, der als Bedienfeld und zur Wiedergabe von Informationen dient (vgl. Streitpatent, [0006]).

Die in der Patentschrift nicht explizit benannte Aufgabe des Streitpatents besteht darin, ein verbessertes System zum Erfassen von Barcodes bereitzustellen.

Die Aufgabe wird streitpatentgemäß insbesondere gelöst durch eine Vorrichtung und ein Verfahren gemäß den unabhängigen Patentansprüchen 1 und 10. Hierbei werden nicht nur die erfassten Barcodes optisch auf einem Display angezeigt, sondern auch gekennzeichnet. Ferner werden im Zusammenhang mit den gekennzeichneten Barcodes Produktbilder angezeigt, die den gekennzeichneten Barcodes über eine Datenbank zugeordnet worden sind. (vgl. Abs. [0088]). Eine weitere Funktionalität erfasst die Ausgabe von Nachrichten, Produktbildern oder

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Daten als Reaktion auf eine Eingabe des Benutzers (vgl. Abs. [0010], [0024]) in Bezug auf die gekennzeichneten Barcodes und Produktbilder.

Ansprüche

Ansprüche 1 und 10 lassen sich wie folgt gliedern (entspricht der von der Antragstellerin vorgelegten Gliederung):

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Anspruch 1

An indicia-reading device (100, 1000), comprising:

  1. one or more processors (1060);
  2. memory (1085);
  3. an imaging subsystem (1040) configured to acquire an image of decodable indicia (15, 202, 204, 206);
  4. display (54); and
  5. communication interface (1604, 1608);

wherein said device is configured, responsive to acquiring an image of one or more objects within a field of view (140) of said imaging subsystem to locate within said image and decode one or more decodable indicia;

wherein said device is further configured to display said image on said display and visually mark said one or more successfully decoded decodable indicia;

characterized in that said device is further configured to display product image at location of an associated image representation of each one or more successfully decoded decodable indicia, said product image is associated with the successfully decoded decodable indicia by said device based on lookup table retrieved from database;

wherein said device is further configured, responsive to accepting user input selecting at least one decoded indicia of said displayed one or more decoded indicia, to output at least one decoded message corresponding to the at least one selected decoded indicia and for at least one product image associated with the at least selected decoded indicia and/or data determined when the at least one selected decoded indicia is decoded;

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Anspruch 10

An indicia-reading method on an indicia-reading device (100, 1000), comprising:

  1. one or more processors (1060);
  2. memory (1085);
  3. an imaging subsystem (1040) configured to acquire an image of decodable indicia (15, 202, 204, 206);
  4. display (54); and
  5. communication interface (1604, 1608);

the method comprising:

responsive to acquiring an image of one or more objects within field of view (140) of said imaging subsystem, locating within said image and decoding one or more decodable indicia; displaying said image on said display and visually marking said one or more successfully decoded indicia; characterized by the method further comprising associating each of one or more successfully decoded indicia with a product image based on a lookup table retrieved from a database; displaying the product image at a location of an associated image representation of each of the one or more decodable indicia; and responsive to accepting user input selecting at least one decodable indicia of said displayed one or more decodable indicia, outputting at least one decoded message corresponding to the at least one selected decodable indicia and/or at least one product image associated with the at least one selected decodable indicia and/or data determined when the at least one selected decodable indicia is decoded.

2. Zur Auslegung:

a)

Gemäß Art. 69 EPÜ i.V.m. dem Protokoll über dessen Auslegung ist der Patentanspruch nicht nur der Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereichs eines europäischen Patents. Für die Auslegung eines Patentanspruchs kommt es nicht allein auf seinen genauen Wortlaut im sprachlichen Sinne an. Vielmehr sind die Beschreibung und die Zeichnungen als Erläuterungshilfen für die Auslegung des Patentanspruchs stets mit heranzuziehen und nicht nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten im Patentanspruch anzuwenden. Das bedeutet aber nicht, dass der Patentanspruch lediglich als Richtlinie dient und sich sein Gegenstand auch auf das erstreckt, was sich nach Prüfung der Beschreibung und der Zeichnungen als Schutzbegehren des Patentinhabers darstellt. Der Patentanspruch ist aus Sicht der Fachperson auszulegen. (UPC_CoA_335/2023, Anordnung v. 26.02.2023 i. V. m. Anordnung v. 11.03.2024, GRUR-RS 2024, 2829, Leitsatz 2. und Rz. 73 - 77 – Nachweisverfahren; UPC_CFI_452/2023 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, S. 13, GRUR-RS 2024, 7207, Rz. 49).

Die Parteien haben sich nicht zur Identität der betroffenen Fachperson geäußert. Aus der Sicht der Lokalkammer ist die Fachperson ein Team bestehend aus einem Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Zeichenlesevorrichtungen und einem Diplom-Ingenieur für Software mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Software für Zeichenlesevorrichtungen.

b)

Dies vorausgeschickt stellt Patentanspruch 1 eine Zeichenlesevorrichtung unter Schutz, deren Oberbegriff der US-Schrift 5 821 523 A entnommen ist [0006]. Die Merkmale 1.8 und 1.9 ergänzen diese bekannte Vorrichtung um die Fähigkeit, ein Produktbild an der Stelle einer zugeordnete Bilddarstellung des erfolgreich dekodierten Zeichens anzuzeigen und als Reaktion auf eine Benutzereingabe in Bezug hierauf weitere Informationen anzuzeigen.

Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. Mittels des Barcodescans können zum Beispiel innerhalb einer Vielzahl von Produktverpackungen die gesuchten identifiziert werden. Das macht insbesondere dann Sinn, wenn das Produkt selbst nicht bereits aufgrund der Verpackung identifiziert werden kann. Ferner kann die Bedienperson aufgrund des Scans weitere mit dem Barcode verknüpfte Produktinformationen abrufen. Eine weitere Funktionalität besteht darin, dass das wiedergegebene Produktbild und/oder die abgerufenen verknüpften Produktinformationen mit dem tatsächlich vorliegenden Produkt verglichen werden können.

c)

Wie die Fachperson Patentanspruch 1 entnimmt, weist die unter Schutz gestellte Zeichenlesevorrichtung als Hardwarekomponenten einen oder mehrere Prozessoren, einen Speicher, ein Bildgebungssubsystem, also z.B. eine Kamera, eine Anzeige, also z.B. einen Bildschirm, eine Kommunikationsschnittstelle, also z.B. einen berührungsempfindlich ausgestalteten Bildschirm, und eine Dekodiervorrichtung auf. Dies alles wird zum Beispiel von einem handelsüblichen Smartphone regelmäßig bereitgestellt [0011].

d)

Merkmal 1.3 verlangt darüber hinaus, dass das Bildgebungssubsystem ein Bild eines dekodierbaren Zeichens, also z.B. eines Barcodes [0006], erfassen kann.

e)

Merkmal 1.6 fordert ferner, dass das Bildgebungssubsystem darüber hinaus in der Lage ist, ein dekodierbares Zeichen, das sich auf einem Objekt innerhalb des Sichtfeldes befindet, nicht

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nur zu erfassen, sondern auch zu lokalisieren und zu dekodieren. Soweit sich mehrere dekodierbare Zeichen auf mehren Objekten im Sichtfeld befinden, muss die Vorrichtung in der Lage sein, diese zu lokalisieren und zu dekodieren.

Das Teilmerkmal der Lokalisation erfordert, dass das Bildgebungssubsystem nicht nur erkennen kann, dass sich überhaupt im Bildausschnitt ein dekodierbares Zeichen befindet, sondern auch, wo es sich innerhalb des aktuellen Bildausschnitts befindet. Dies ist Voraussetzung für die Implementierung des Merkmals 1.8. Denn nach Merkmal 1.8. ist an der Stelle der Bilddarstellung des dekodierten Zeichens ein Produktbild anzuzeigen.

Ferner muss die Vorrichtung gem. Merkmal 1.7 in der Lage sein, das erfasste Bild anzuzeigen und die im Bildausschnitt sichtbaren dekodierbaren Zeichen visuell zu kennzeichnen, soweit sie erfolgreich dekodiert wurden.

Diese visuelle Kennzeichnung oder Markierung kann gemäß der Beschreibung des Verfügungs- patents auf unterschiedliche Weise erfolgen. Eine Möglichkeit der visuellen Markierung besteht in der Hervorhebung der dekodierbaren Zeichen, (vgl. Abs. [0055]). Dies kann beispielsweise durch das Einzeichnen eines neutralen Rahmens um die Darstellung des erfolgreich dekodierten Zeichens erfolgen (wie durch die Ziffern R316, R318, R320, R322 und R324 in der im Folgenden dargestellten Fig. 11 gekennzeichnet; vgl. hierzu auch Abs. [0099]):

R518R418R918R318R218
R316R216R8181420
Touchtacked BarcodesR916PDEALZR516R416
charactersR816R922
Matrix BarcodesR524
ztec CodeDala MatrixQRCodeR920R924
2R324R224
charadters)(43 characters)‘39 charactersR424
ase (lacbarcpde cd (plete// i(side tle view finderR520R4zoR320
R220R522R422R322R822
R222R824

Die gezeigten Rahmen können auch farbig dargestellt werden. Selbstverständlich sind auch andere Formen der Markierung (vgl. Abs. [0099]), etwa die Anzeige eines kreisförmigen Punktes.

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oder einer anderen Markierung in oder um das Zentrum der erfolgreich dekodierten Zeichen möglich (vgl. Abs. [0055]).

Ferner muss die visuelle Kennzeichnung für den Anwender eindeutig und ohne Probleme wahrnehmbar und dem dekodierten Zeichen zuzuordnen sein. Dies ergibt sich bereits aufgrund des Wortlauts „visually mark“ bzw. „visuell zu kennzeichnen“ des Merkmals 1.7 eindeutig. Dies ergibt sich zudem unter Berücksichtigung einer funktionalen Auslegung, weil die visuelle Kennzeichnung im Sinne des Merkmals 1.7 den Zweck hat, dem Anwender den erfolgreichen Abschluss des Dekodierungsvorgangs anzuzeigen.

Erfindungswesentlich ist daher zum einen, dass der Benutzer erkennen kann, welcher Barcode dekodiert wurde. Zum anderen zeichnet sich die erfindungsgemäße Kennzeichnung eines Barcodes gerade dadurch aus, dass sie physisch oder virtuell mit dem markierten Objekt im Sinne der Darstellung einer erweiterten Realität (augmented reality) verbunden ist. Dementsprechend sehen auch die Ausführungsbeispiele des Streitpatents vor, dass die visuelle Kennzeichnung virtuell mit dem Barcode verbunden ist (vgl. Verfügungspatent, [0015] und [0038]).

Der Anspruch macht insoweit keine expliziten Angaben dazu, wie lange das dekodierte Zeichen samt Kennzeichnung anzuzeigen ist und ob und wenn ja ab wann das nach Merkmal 1.8 einzu blendende Produktbild das Abbild des gekennzeichneten dekodierbaren Zeichens (vollständig) überlagern darf. Unteranspruch 9 spricht davon, dass der Nutzer das dekodierte Zeichen durch ein halbtransparentes Produktbild hindurchsieht und Absatz [0073] der Beschreibung erwähnt im Zusammenhang mit Figur 10

R212R612R514R614R214
R610R512R312R3141420
R51OR210R3i0R41O
plade dlodeside the view finder
R412R414

Fig: 10

ausdrücklich, dass die dekodierten Zeichen in der Anzeige durch Produktabbildungen ersetzt werden können (“Referring to the illustrative embodiment as set forth in FIG. 10 the representations of the bar codes (serving as decodable indicia) can be removed and replaced with a display of one or more highlight of each decodable indicia”).

Erforderlich ist aber stets, dass die Anzeige der Kennzeichnung des dekodierten Zeichens so lange andauert, dass der Nutzer diese wahrnehmen und einen räumlichen Bezug aufbauen.

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kann, insbesondere dann, wenn die Abbildung später durch ein Produktbild vollständig überlagert wird. Das Produktbild gem. Merkmal 1.8 muss an einer Stelle angezeigt werden, die von dem Abbild des dekodierbaren Zeichens eingenommen wird oder – hinreichend lange - eingenommen worden ist. Denn nur so ist für den Nutzer, der sich dieser erweiterten Realität bewegt, klar, welche reelle Produktabbildung welcher virtuellen Kennzeichnung eines dekodierten Zeichens zuzuordnen ist. Daher muss sich die Kennzeichnung auch entsprechend der Bewegungen der Kamera innerhalb des Bildausschnitts mitbewegen und auch entsprechend verschwinden, wenn sich das dekodierte Zeichen nicht mehr im Bildausschnitt befindet. Das Produktbild muss daher, wenn es das dekodierbare Zeichen vollständig überlagert, als dessen Platzhalter dienen.

Anders ist auch nicht vorstellbar, wie der Nutzer im Fall der anfänglichen Darstellung mehrerer Kennzeichnungen von erfolgreich dekodierten Barcodes die in Merkmal 1.9 geforderte zielgerichtete Eingabe vornehmen können soll, wenn im Zeitpunkt der Eingabe diese vollständig von identischen Produktbildern überlagert werden. Dies erscheint nur dann möglich, wenn dem Nutzer weiterhin visuelle Anhaltpunkte angezeigt werden, so dass er aufgrund der räumlichen Positionierung der Kennzeichnung bzw. der später der Produktbilder innerhalb des Bildausschnittes auf die tatsächliche räumliche Positionierung der Objekte, die die Barcodes tragen, rückschließen kann.

g) Merkmal 1.8

ergänzt bekannte Vorrichtungen um die Fähigkeit, dass an einer Stelle einer Bilddarstellung des erfolgreich dekodierten Zeichens ein Produktbild angezeigt werden kann. Das Produktbild entstammt einer in einer Datenbank bereitgehaltenen Nachschlagetabelle und ist darin dem erfolgreich dekodierten Zeichen zugeordnet.

In Bezug auf das Teilmerkmal „an einer Stelle einer Bilddarstellung“ (at a location) wird zunächst auf die obigen Ausführungen verwiesen.

Gemäß der Patentbeschreibung kann das Produktbild entweder separat von der Darstellung des dekodierten Zeichens (vgl. Fig. 9 und Abs. [0071]), oder unmittelbar an der Stelle der Bilddarstellung des dekodierten Zeichens dargestellt werden, wobei das Produktbild letzteres teilweise (vgl. Fig. 10, Ziffer R614 und [0072]) oder vollständig überdecken kann. Daraus, dass der unbestimmte Artikel „einer“ (at a location) verwendet wird, folgt, dass das Produktbild eben nicht nur an einer Stelle (dort wo der Barcode zu sehen ist) wiedergegeben werden kann, sondern auch an anderen Positionen. Erforderlich ist allerdings, dass das Produktbild dem dekodierten Barcode zugeordnet ist. Es muss somit eine für den Benutzer erkennbare Verbindung zwischen

27

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Barcode und Produktbild vorhanden sein. Dies wird in Absatz [0071] der Beschreibung erläutert und in der Figur 9 dargestellt:

HoneywellAlign bar
1420R2o8R6o8
Starburst Iruil Iwists uriginal llavors36 eaPricc 526.46R708
LaBarcode
Fig:

In der Figur 9 ist zu sehen, dass sich die Produktdarstellung R608 neben der Kennzeichnung des Abbildes des erfolgreich dekodierten Barcodes R208 befindet.

Dass im nachfolgenden Absatz [0072] der Beschreibung erläutert wird, dass eine Positionierung des Produktbildes an der Stelle, an der der Barcode wiedergegebenen wird, (auch) zur Erfindung gehört, lässt sich nicht ableiten, dass der vorherige Absatz vom Schutzbereich der Ansprüche ausgeschlossen ist. Eine Auslegung des Anspruchs, durch die ein Ausführungsbeispiel vom Schutzbereich des Patents ausgeschlossen wird, kommt regelmäßig nur dann in Betracht, wenn eine Interpretation, die alle Ausführungsbeispiele umfasst, zu unüberbrückbaren Widersprüchen führen würde. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Im Übrigen spricht auch eine funktionale Auslegung gegen die Position der Antragsgegnerin, wonach eine Darstellung des Produktbildes neben dem dazugehörigen Barcode nicht unter den Anspruch fallen soll. Denn nach der Lehre des Streitpatents kommt es ersichtlich darauf an, dass eine für den Benutzer eindeutige Zuordnung zwischen Produktbild und Barcode hergestellt wird. Hierfür ist es indessen nicht erforderlich, dass das Produktbild direkt über oder auf dem Barcode dargestellt wird.

Nach dem Wortlaut des Vorrichtungsanspruchs muss die Vorrichtung für den Fall, dass mehrere im Bildausschnitt sichtbare dekodierbare Zeichen lokalisiert und erfolgreich dekodiert werden, dazu konfiguriert sein, um an einer Stelle einer zugeordneten Bilddarstellung „von jedem“ erfolgreich dekodierten Zeichen ein Produktbild anzuzeigen; der Verfahrensanspruch spricht von

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Produktbildern an einer Stelle „jedes“ Zeichens. Nach dem Wortlaut genügt es demnach bei Lokalisierung und erfolgreicher Dekodierung mehrere dekodierbare Zeichen nicht, dass nur ein Produktbild angezeigt wird. Es ist erforderlich, dass ein Produktbild für jedes erfolgreich dekodierte Zeichen angezeigt wird. Falls mehrere Zeichen erfolgreich dekodiert werden, müssen also mehrere Produktbilder gleichzeitig angezeigt werden. Für diese Auslegung sprechen auch die Abbildungen der Patentbeschreibung. Die Abbildungen zeigen nur ein Ausführungsbeispiel, bei dem mehrere Zeichen lokalisiert, dekodiert und visuell gekennzeichnet werden, nämlich Fig. 10. In dieser Abbildung wird zu allen drei dekodierten Zeichen jeweils ein Produktbild angezeigt. Die drei Produktbilder werden gleichzeitig angezeigt.

In Bezug auf die Teilmerkmale Datenbank und Nachschlagetabelle ist festzustellen, die Datenbank sowie die Nachschlagetabelle selbst nicht Teil der geschützten Vorrichtung sind, sondern lediglich mit dieser zusammenwirken.

Eine Datenbank ist nach dem fachmännischen Verständnis ein System zur elektronischen Datenverwaltung, wobei die Daten möglichst dauerhaft und für den Benutzer bedarfsgerecht abrufbar bereitgestellt werden. Letztlich werden in jedem elektronischen Speichermedium Daten so abgelegt, dass diese nach bestimmten Kriterien vom Arbeitsspeicher auffindbar und abrufbar sind – anderenfalls wären die gespeicherten Daten nutzlos und nicht wiederverwendbar. Irrelevant ist für eine Datenbank, ob die Daten auf einem oder mehreren physikalischen oder logischen Speichern abgelegt sind. Wird eine Datenbank von Computern (und nicht von Personen) genutzt, so ist oftmals überhaupt nicht erkennbar, wo die Daten abgelegt sind. In diesem Sinne verwendet auch das Verfügungspatent den Begriff der Datenbank, die nach [0069] beispielsweise ein Server sein kann:

One or more program 1800 at block 1802 can message a resource and in one embodiment can message an external resource, e.g. a database of server 2000 or server 3000.

Auf Deutsch:

Eines oder mehrere Programme 1800 können im Block 1802 Nachrichten an eine Ressource schicken und in einem Ausführungsbeispiel Nachrichten an eine externe Ressource schicken, z.B. eine Datenbank des Servers 2000 oder des Servers 3000.

Anspruchsgemäß wird aus dieser Datenbank eine Nachschlagetabelle abgerufen. Im Bereich der Datenverarbeitung versteht man unter einer Nachschlagetabelle die Zuordnung eines oder mehrerer Eingangsparameter (Input) zu einem bestimmten Ergebnis oder Ausgangsparameter (Output). In der patentgemäßen Nachschlagetabelle wird einem dekodierbaren Zeichen (Barcode) jeweils ein Produktbild zugeordnet. Wie diese Zuordnung erfolgt, lässt der Anspruch offen. Insbesondere legt der Anspruch nicht fest, dass die einem dekodierbaren Zeichen zugeordnete Bilddatei in derselben Datenbank gespeichert sein muss, wie die Nachschlagetabelle. Die dem entgegenstehende Auffassung der Antragsgegnerin findet weder im Anspruchswortlaut noch in der Patentbeschreibung eine Stütze.

Auch die Auffassung der Antragsgegnerin, wonach die Datenbanken aus Nachschlagetabellen und weiteren Informationen bestehen (vgl. Einspruch, Rn. 269), ist unzutreffend und mit dem

29

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klaren Anspruchswortlaut nicht in Übereinstimmung zu bringen. Dieser sieht vor, dass die Nach-

schlagetabellen aus einer Datenbank abgerufen werden, die Datenbank enthält somit die Nach-

schlagetabelle.

h) Nach Merkmal 1.9 ist die Vorrichtung weiter in der Lage, eine Benutzereingabe in Bezug auf

das angezeigte erfolgreich dekodierte Zeichen anzunehmen und in Reaktion hierauf eine weitere

zugeordnete dekodierte Nachricht anzuzeigen. Diese weitere Nachricht ist dekodiert, also für

den menschlichen Nutzer ohne weiteres sofort verständlich. Die weitere Nachricht kann die hin-

ter dem Barcode stehende Ziffernfolge beinhalten bzw. ein (weiteres) Produktbild oder sonstige

Informationen in Bezug auf das erfolgreich dekodierte Zeichen. Im Ausführungsbeispiel der Figur

9 werden unter dem Bezugszeichnen R708 weitere Informationen in Textform angezeigt:

3.

Patentanspruch 10 stellt ein entsprechendes Verfahren unter Schutz. Sachliche Abweichungen

zu dem oben wiedergegebenen Auslegungsergebnis gibt es nicht. Die Gliederung der einzelnen

Merkmale unterscheidet sich geringfügig.

4.

Unter Zugrundelegung eines solchen Verständnisses ist es zumindest überwiegend wahr-

scheinlich, dass die angegriffenen Ausführungsform ein Mittel ist, womit die Abnehmer der An-

tragsgegnerin in der Lage gesetzt werden, von der technischen Lehre der Ansprüche 1 und 10

wortsinngemäß Gebrauch zu machen. Die Lokalkammer ist daher mit ausreichender Sicherheit

von einer mittelbaren Verletzung der Patentansprüche 1 und 10 des Streitpatents in der erteil-

ten Fassung durch die angegriffene Ausführungsform überzeugt (Art. 62 Abs. 4 EPGÜ i.V.m. R.

30

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211.2 VerfO, vgl. UPC_CoA_335/2023, Anordnung v. 26.02.2023, GRUR-RS 2024, 2829, Leitsatz 3. und Rz. 90 - 94 – Nachweisverfahren). Eine hinreichende Überzeugung auch von einer unmittelbaren Patentverletzung des Anspruchs 1 konnte sich die Lokalkammer hingegen weder im Hinblick auf die erteilte noch im Hinblick auf die eingeschränkt geltend gemachte Fassung bilden.

a)

Streitgegenständlich ist nach den Ausführungen der Antragstellerin im Schriftsatz vom 13. Mai 2024 (Seite 51 f.) das Software Development Kit (SDK) und kerngleiche Ausführungsformen. Die in der Antragsschrift erläuterten zwei Videos (Barcode Scanner SDK“ und „Matrix Scan AR“) stellen hiernach nicht zwei unterschiedliche angegriffene Ausführungsformen dar, sondern zeigen vielmehr jeweils etwas unterschiedliche Anwendungsbeispiele des von der Antragsgegnerin angebotenen SDK. Die Antragstellerin wendet sich gegen Software der Antragsgegnerin, insbesondere ihr SDK, die über die patentgemäße Funktion verfügen. Ob mit dem SDK Software hergestellt werden kann, die die Merkmale der Ansprüche 1 und 10 benutzt, kann mithin anhand der SDK-Dokumentation sowie anhand der beiden Werbevideos überprüft werden.

b)

Eine Verwirklichung der Merkmale 1 bis 1.7 und 1.9 des Anspruchs 1 steht zwischen den Parteien zu Recht nicht in Streit, so dass es insoweit keiner weiteren Ausführungen bedarf.

c)

Darüber hinaus wird auch Merkmal 1.8 verwirklicht.

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(1) Teilmerkmal „Anzeige „an einer Stelle““

Der Auslegung der Antragsgegnerin, dass für ein patentgemäßes Anzeigen an der Stelle des dekodierten Zeichens zu verlangen sei, dass das dekodierte Zeichen durch das Pro- duktbild wenigstens teilweise überlagert wird, ist, wie gezeigt, nicht zu folgen.

In dem Video „Barcode Scanner SDK“ wird das Produktbild (die Darstellung einer Schraube) wie folgt über dem gekennzeichneten Barcode gezeigt.

In dem Video „Matrix Scan AR“ wird das Produktbildes (die Darstellung eines Kopfhörers) wie folgt teilweise überlagernd über dem gekennzeichneten Barcode gezeigt:

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Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin in der Dokumentation des SDK (Anlage BP 3b) ausdrücklich darauf hinweist, dass das Produktbild über dem dekodierten Barcode angezeigt werden kann und soll, gleichwohl aber auch eine Abweichung von dem gewählten Ankerpunkt möglich ist. So heißt auf Seite 2:

BarcodeTrackingAdvancedOverlayListener.viewForTrackedBardoce() asks for a view to animate on top of the barcode.

Auf Deutsch:

BarcodeTrackingAdvancedOverlayListener.viewForTrackedBardoce() fragt nach einer Ansicht, die über dem Barcode platziert werden soll.

In der Dokumentation in Anlage BP 3b wird im Einzelnen erläutert, dass für jedes Bild ein „Ankerpunkt“ festgelegt werden muss, der als „anchor“ bezeichnet wird. Das Bild wird sodann mittig über dem Ankerpunkt angezeigt und es muss eine „Abweichung“, genannt „offset“, definiert werden, um die Position des Bildes zu verändern. Dazu heißt es wörtlich (Anlage BP 3b, S. 2):

BarcodeTrackingAdvancedOverlayListener.anchorForTrackedBarcode() asks how to anchor the view to the barcode through Anchor. Beaware that it anchors the view’s center to the anchor point. To achieve anchoring the top of the view or the bottom etc. you will have to set an offset as explained in the next point.

Auf Deutsch:

BarcodeTrackingAdvancedOverlayListener.anchorForTrackedBarcode() fragt, wie die Ansicht durch einen Anker im Verhältnis zum Barcode verankert werden soll. Beachte, dass die Mitte der Ansicht am Ankerpunkt verankert wird. Um eine Verankerung der Oberseite

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oder der Unterseite etc. der Ansicht zu erreichen, musst Du einen offset definieren, wie im nächsten Punkt erläutert.

In dem darauffolgenden Pseudocode wird dann konkret dargestellt, wie der Ankerpunkt definiert wird und erläutert (Anlage BP 3b, S. 2 ganz unten):

// As we want the view to be above the barcode, we anchor the view’s center to the top- center of the barcode quadrilateral. // Use the function ‘offsetForTrackedBarcode’ below to adjust the position of the view by providing an offset.

Auf Deutsch:

// Da wir die Ansicht über dem Barcode haben wollen, verankern wir das Zentrum der An- sicht an der Oberseitenmitte des BarcodeVierecks. // Verwende die Funktion ‘offsetForTra- ckedBarcode’ unten um die Position der Ansicht durch einen offset anzupassen.

Das SDK sieht somit ausdrücklich vor, dass Produktbilder an der Position des Barcodes dargestellt werden, dies kann über dem Barcode sein, oder auch teilweise überlappend.

Beides ist nach der Auslegung der Lokalkammer anspruchsgemäß.

(2) Teilmerkmal „Anzeige mehrerer Produktbilder“

Es ist zwar richtig, dass die von der Antragstellerin vorgelegten Screenshots keine Darstel- lung von mehreren Produktbildern zeigen, was für eine Verwirklichung des Merkmals 1.8 für den Fall erforderlich wäre, dass mehrere zu unterschiedlichen Produkten gehörige de- kodierbare Zeichen erfolgreich dekodiert worden sind. Die Antragstellerin hat aber im Termin darauf hingewiesen, dass im Video „Matrix Scan AR” bei 00:45 mehrere Turn- schuhe erfolgreich dekodiert worden seien. Die Antragsgegnerin hat dies auch auf Nach- frage der Kammer nicht mehr bestritten. Der Vortrag der Antragstellerin gilt daher als un- streitig (Regel 171.2 VerfO). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das SDK unstreitig eine demensprechende Programmierung zulässt. Die Antragsgegnerin hat lediglich (zu Recht) moniert, dass entsprechende Ausführungen im schriftsätzlichen Vortrag der An- tragstellerin fehlen. Ebenso fehlen Screenshots dieser Szene. Nachfolgenden Screenshot hat die Kammer daher zur Veranschaulichung angefertigt:

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Erfar

Infol

cycinici

Befahigen Sie Ihre Mitarbeiter durch Zugriff auf Echtzeit-Daten:

Zeigen Sie Produktinformationen und personalisierte Angebote als Overlay:

Man kann erkennen, dass im Display des Mobiltelefons zwei überlagernde, grün eingefärbte Darstellungen von Turnschuhen angezeigt werden [die Pfeile wurde von der Kammer hinzugefügt].

Automatisieren Sie Bestandsaufnahme und- verwaltung:

Mithin ist es mit dem SDK möglich, die patentgemäße Darstellung mehrere Produktbilder im Fall von mehreren „Treffern“ zu programmieren.

(3) Teilmerkmal „aus einer Datenbank abgerufenen Nachschlagetabelle“

Die Datenbank sowie die Nachschlagetabelle sind selbst nicht Teil der geschützten Vorrichtung, sondern wirken lediglich mit dieser zusammen. Nach der oben gefundenen Auslegung kommt es für eine Verwirklichung dieses Teilmehrmals nicht darauf an, wo genau sich die Datenbanken befinden, die die Nachschlagetabelle und die Produktbilder enthalten. Unstreitig kann mittels der angegriffenen Ausführungsform (SDK) eine entsprechende funktionale Verbindung zu Datenbanken und Nachschlagetabellen programmiert werden. In der Praxis ist dies auch zu erwarten, denn das Scannen einer Vielzahl von Barcodes stellt den regelmäßigen Anwendungsfall dar. Diese Barcodes, die dazugehörigen Produktbilder und weitere Informationen sind demnach in Datenbanken und Nachschlagetabellen bereitzustellen.

d) In Bezug auf das Verfahren gem. Anspruch 10 ergeben sich keine Abweichungen.

5.

Dass sie die angegriffenen Ausführungsform, das SDK, in den Vertragsmitgliedsstaaten, insbesondere in Deutschland und Frankreich, anbietet und dorthin liefert, stellt die Antragsgegnerin.

35

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nicht in Abrede. Zudem wurden und wird die angegriffenen Ausführungsformen auch unstreitig im Internet beworben. Dies stellt eine mittelbare Verletzung der Ansprüche 1 und 10 in der erteilten Fassung dar (Art. 26 EPGP).

a.

Nach Art. 26 (1) EPÜG gewährt ein Patent seinem Inhaber das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im Hoheitsgebiet der Vertragsmitgliedstaaten, in denen dieses Patent Wirkung hat, anderen als zur Benutzung der patentierten Erfindung berechtigten Personen Mittel, die sich auf ein wesentliches Element der Erfindung beziehen, zur Benutzung der Erfindung in diesem Gebiet anzubieten oder zu liefern, wenn der Dritte weiß oder hätte wissen müssen, dass diese Mittel dazu geeignet und bestimmt sind, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden.

b.

Bei dem SDK handelt es sich um ein Mittel, das sich auf ein wesentliches Element der Erfindung bezieht. Denn mittels dieser Programmbibliothek sind die Abnehmer der Antragsgegnerin in der Lage, eine Softwareprogramm zu erstellen, das, wie gezeigt, von der technischen Lehre der Ansprüche 1 und 10 wortsinngemäß gebraucht macht. Dass die Antragsgegnerin mit dem SDK keine Produktbilder, Datenbanken mit Produktbildern oder Nachschlagetabellen bereitstellt, steht dem nicht entgegen, dann diese sind für die Erfindung nicht wesentlich. Wesentlich ist vielmehr die Fähigkeit der Software, bestimmten dekodierten Zeichen bestimmte Produktbilder auf eine bestimmte Art und Weise gegenüberzustellen. Mittels des SDK ist der Abnehmer in der Lage, eine solche Software zu schreiben.

c.

Wie die oben diskutierten Videos und die Dokumentation belegen, bietet die Antragsgegnerin das SDK ihren Abnehmern auch zur Benutzung der Erfindung an, obwohl sie weiß, dass dieses Mittel dazu geeignet und bestimmt ist, für die Benutzung der Erfindung verwendet zu werden. Die Bestimmung folgt wiederum aus den von der Antragsgegnerin zu verantworten Videos und der Dokumentation. Denn es ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Belieferte die Mittel so einsetzen wird, wie es ihm in Werbebotschaften, Gebrauchsanweisungen und sonstigen Unterlagen des Lieferanten nahegelegt wird. Dazu, dass es sich vorliegend ausnahmsweise anders verhält, hat die Antragsgegnerin nichts vorgetragen.

6.

Die Kammer konnte allerdings keine unmittelbare Verletzung von Anspruch 1 feststellen.

a.

Anspruch 1 ist ein Vorrichtungsanspruch. Die Antragsgegnerin liefert mit dem SDK lediglich ein wesentliches Mittel zur Implementierung der Erfindung gem. Anspruch 1. Sie liefert aber weder die benötigte Hardware, noch die benötigte Software. Vielmehr hat der Abnehmer die Hardware, die Produktbilder und die dekodierbaren Zeichen bereitzustellen. Ferner muss der Abnehmer die Betriebssoftware entwickeln. Das SDK ermöglicht ihm dies.

b.

In der nationalen Patentrechtsprechung ist zwar anerkannt, dass in bestimmten Konstellationen auf eine unmittelbare Patentverletzung erkannt werden kann, wenn sich nämlich der Patentverletzer Handlungen seines Abnehmers im Sinne einer verlängerten Werkbank zu eigen macht und es aus Wertungsgesichtspunkten unbillig wäre, den Verletzer lediglich wegen einer mittelbaren Patentverletzung haften zu lassen. In den Blick zu nehmen ist aber stets die Gefahr, dass hierdurch die vom Gesetzgeber gezogenen Grenzen zwischen den Rechtsfolgen einer unmittelbaren und einer mittelbaren Patentverletzung verschwimmen. Daher kann eine Haftung wegen unmittelbarer Patentverletzung bei derartigen Sachverhalten nur dann angenommen werden, wenn eine konkret umrissene Vervollständigung der patentgemäßen Vorrichtung mit.

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Sicherheit zu erwarten ist. Dies ist etwa dann unproblematisch der Fall, wenn ein Bausatz zum Zusammenfügen zu einer Gesamtvorrichtung durch den Abnehmer inklusiver Zusammenbauanleitung geliefert wird und die Gesamtvorrichtung nicht funktioniert, sollte sie abweichend hiervon zusammengesetzt werden.

c. Die Umstände des vorliegenden Falls weichen hiervon aber in einem entscheidenden Punkt ab. Aufgrund der von dem SDK bereitgestellten Programmbibliothek ist es zwar in Verbindung mit den Videos und der Dokumentation im Sinne einer mittelbaren Patentverletzung, die einen Gefährdungstatbestand darstellt, möglich, dass der Abnehmer eine patentgemäße Gesamtvorrichtung herstellt. Aufgrund der Vielzahl von abweichenden Programmiermöglichkeiten sowie Möglichkeiten, die Hardwarekomponenten zusammenzustellen, steht dies aber nicht mit der erforderlichen Konkretheit sicher fest.

7.

Diese gilt auch in Bezug auf die im Rahmen der Hilfsanträge geltend gemachten eingeschränkte Merkmalskombination.

8.

Die Antragsgegnerin kann der Antragsgegnerin kein Vorbenutzungsrecht (Art. 28 EPGÜ) entgegensetzen, denn hierzu hat sie schon keinen Vortrag gehalten. Vielmehr hat sie ausgeführt, dass es aus ihrer Sicht hierauf nicht ankomme. Der Bitte um einen richterlichen Hinweis dahingehend, dass zu einem Vorbenutzungsrecht vorzutragen ist, weil die sonstigen Argumente nicht durchgreifen, war nicht nachzukommen. Denn die Parteien bestimmen allein den Gegenstand des Rechtsstreits und die ihren Vortrag stützenden Beweismittel (Art. 43 EPGÜ).

III. Rechtsbestand

Der Rechtsbestand des Streitpatents ist in dem für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erforderlichen Umfang gesichert. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragsgegnerin ist die Lokalkammer München mit der nach Art. 62 Abs. 4 EPGÜ i. V. m. R. 211.2 VerfO notwendigen „ausreichenden Sicherheit“ von der Rechtsbeständigkeit des Streitpatents überzeugt. Eine solche „ausreichende Sicherheit“ fehlt, wenn es das Gericht für überwiegend wahrscheinlich ansieht, dass das Streitpatent nicht gültig ist (UPC_CoA_335/2023, Anordnung v. 26.02.2023, GRUR-RS 2024, 2829, Leitsatz 3. und Rz. 73 - 77 – Nachweisverfahren).

1.

Dies vorausgeschickt geht die Lokalkammer davon aus, dass sich der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 10 mit hinreichender Sicherheit als patenfähig erweisen wird.

2.

Für angemeldete europäische Patente gilt ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer Erteilung eine Vermutung der Gültigkeit. Ab diesem Zeitpunkt genießen sie somit in vollem Umfang den unter anderem durch die RL 2004/48 gewährleisteten Schutz (EuGH GRUR Int 2020, 1071 Rn. 48 – Generics (UK) ua; GRUR 2022, 811 - Phoenix Contact GmbH & Co. KG/HARTING Deutschland GmbH & Co. KG ua, Rz. 41).

3.

Die Darlegungs- und Beweislast für Tatsachen betreffend die fehlende Gültigkeit des Patents und andere Umstände, die den Standpunkt des Antragsgegners stützen, liegt dementsprechend beim Antragsgegner (UPC_CoA_335/2023, Anordnung v. 26.02.2023, GRUR-RS 2024, 2829, Rz.

UPC_CFI_74/2024

93 – Nachweisverfahren). Vor diesem Hintergrund ist es vorliegend Aufgabe der Antragsgegner- seite, anhand des Standes der Technik Argumente zu präsentieren, die den Rechtsbestand des Streitpatents als nicht ausreichend gesichert erscheinen lassen.

4.

Es die dann Aufgabe des Spruchkörpers zu beurteilen, ob der Rechtsbestand des Streitpatents ausgehend von den durch die Antragsgegnerseite vorgetragenen Argumenten hinreichend gesi- chert ist. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn die gegen die Rechtsbeständigkeit des Streitpa- tents vorgebrachten Argumente nicht geeignet sind, erhebliche Zweifel an der Rechtsbeständig- keit des Streitpatents hervorzurufen.

Aufgrund des summarischen Charakters der Rechtsbestandsprüfung in einem Verfahren auf Er- lass einstweiliger Maßnahmen kommt allerdings keine vollumfängliche Prüfung aller mitunter in großer Anzahl vorgetragenen Argumente wie in einem Nichtigkeitsverfahren in Betracht. Viel- mehr ist die Anzahl der dem Rechtsbestand entgegengehaltenen Argumente in der Regel auf die aus Sicht des Antragsgegners besten drei zu reduzieren (UPC_CFI_443/2023 ACT_589207/2023 (LK München), Anordnung v. 21.05.2024, 3. LS). Hintergrund ist, dass zwar eine summarische Be- urteilung von Tatfragen denkbar ist, eine summarische Prüfung von Rechtsfragen hingegen nicht. Das Gericht kann eine Rechtsfrage entweder prüfen oder nicht prüfen. Wird in die Prüfung eingetreten, erfolgt diese Prüfung umfassend. Dem summarischen Charakter kann insoweit da- her nur dadurch Rechnung getragen werden, dass die Anzahl der auf diese Art und Weise umfas- send zu prüfenden Rechtsfragen reduziert wird. Dies wird durch die Forderung auf eine Be- schränkung auf regelmäßig drei Argumente verdeutlicht. Da es die Aufgabe der Antragsgegnerin ist, gegen die Vermutung der Rechtsbeständigkeit anzukämpfen, obliegt es zuvörderst auch der Antragsgegnerin, die regelmäßig drei Argumente, die von der Kammer im Rahmen des summari- schen Verfahrens näher geprüft werden sollen, auszuwählen.

Dem ist die Antragsgegnerin vorliegend mit Schriftsatz vom 28. Mai 2024 (S. 3, Rn. 331) im An- satz nachgekommen. Sie hat sich auf die Argumentation anhand von drei Lösungen aus dem Stand der Technik, nämlich die „Flow App“, die „Barinsa App“ und die japanische Patentschrift beschränkt. Dass die Antragsgegnerin anhand dieser drei Entgegenhaltungen mehr als drei Argu- mente vorgetragen hat, bedarf keiner weiteren Vertiefung, denn sämtliche vorgetragenen Argu- mente greifen nicht durch.

3.

Ausgehend von den oben dargestellten Grundsätzen ist der Rechtsbestand des Streitpatents vorliegend hinreichend gesichert. Die Argumente der Antragsgegnerin sind bei summarischer Prüfung nicht geeignet, erhebliche Zweifel am Rechtsbestand der Patentansprüche 1 und 10 hervorzurufen.

a)

Dass sich die Antragstellerin vor dem Hintergrund des Vorbringens der Antragsgegnerin dazu entschlossen hat, Hilfsanträge zu stellen, vermag für sich genommen keine Zweifel am Rechtsbe- stand zu begründen. Die Formulierung derartiger Hilfsanträge ist vielmehr Ausdruck anwaltlicher Vorsicht. Sie ist schon deshalb geboten, weil das Berufungsgericht in seiner Anordnung vom 26.

UPC_CFI_74/2024

Februar 2024 die Möglichkeit der Unzulässigkeit von Hilfsanträgen in zweiter Instanz angespro- chen, im Ergebnis aber offengelassen hat (UPC_CoA_335/2023, Anordnung v. 26.02.2023, GRUR-RS 2024, 2829, Rz. 116 – Nachweisverfahren).

b) Der Gegenstand der Patentansprüche 1 und 10 erweist sich bei der gebotenen summarischer

Prüfung gegenüber dem durch die Antragstellerin entgegengehaltenen Stand der Technik als neu, Art. 54 EPÜ.

aa) Eine technische Lehre ist neu, wenn sie in wenigstens einem der bekannten Merkmale von

dem im Stand der Technik Vorhandenen abweicht. Sie ist vorweggenommen, wenn sich alle ihre Merkmale auch bei im Stand der Technik bekannten Ausführungen finden (vgl. Benkard/Melul- lis/Koch, Europäisches Patentübereinkommen – EPÜ, 4. Aufl., EPÜ Art. 54 Rz. 22). Im Stand der Technik vorweggenommen ist nur das, was sich für einen mit dem jeweiligen technischen Gebiet vertrauten Fachkundigen unmittelbar aus der Veröffentlichung oder Vorbenutzung ergibt. Er- kenntnisse, die die Fachperson erst aufgrund weiterführender Überlegungen oder der Heranzie- hung weiterer Schriften oder Benutzungen gewinnt, sind nicht relevant für die Beurteilung der Neuheit (vgl. UPC_ CFI_452/2023 (LK Düsseldorf), Anordnung vom 9. April 2024; UPC_CFI_7/2023 (LK Düsseldorf), Anordnung vom 3. Juli 2024).

bb) Dies vorausgeschickt gilt im vorliegenden Fall Folgendes:

(1) Die Flow App (https://www.youtube.com/watch?v=ThUQyi0BO_k, Anlagen FR1-6) offenbart

nicht sämtliche Merkmale der Patentansprüche 1 und 10 unmittelbar und eindeutig.

  • Unter der Bezeichnung „Flow“ hat ein Tochterunternehmen von Amazon, die A9.com, Inc. seit November 2011 eine Einkaufsanwendung (App) mit erweiterter Realität angeboten. Die Funkti- onsweise dieser „Flow App“ wird in zahlreichen Videos erläutert, die auf Youtube abrufbar sind. Beispielhaft hat die Antragsgegnerin Bezug genommen auf das Video mit der Bezeichnung „Flow by Amazon iPhone app demo: Augmented reality meets shopping“ vom 2. November 2011, im Folgenden „Flow Video“ (Anlagen FR 1-6). Das Flow Video war spätestens ab dem 5. November 2011 online abrufbar. Das Flow Video zeigt die Verwendung der „Flow App“ mit einem Smart- phone. Die Flow App ermöglicht einem Benutzer, durch Scannen eines Barcodes Produktinfor- mationen abzurufen. Das Video zeigt zunächst einen Barcode (Flow Video, bei Minute 2:07). Im Barcode wird eine Reihe von weißen Punkten dargestellt (vgl. Pfeil):

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Die Antragsgegnerin sieht darin die Anzeige einer Erfolgreichen Dekodierung.

Im Anschluss wird über dem Barcode eine ausgegrauten Dialogbox eingeblendet (Flow Video, bei Minute 2:08):

An Insiani classiel

Es werden Produktinformationen abgerufen (Flow Video, bei Minute 2:09) und eingeblendet (Flow Video, bei Minute 2:11). Die

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Produktinformationen umfassen unter anderem ein Produktbild, den Produktnamen, einen Produktpreis, etc.:

30 99 0 D In Reaktion auf eine Benutzereingabe, hier Tippen auf die den Barcode überlagernden eingeblendeten Produktinformationen, erhält der Benutzer weiterführende Informationen bzw. Funktionen (Flow Video, bei Minute 1:44-1:46). Die weiterführenden Informationen können ein oder mehrere weitere Produktbilder, Lagerbestand, Kaufoptionen, etc., umfassen (id.):

Die „Flow App“ blendet die Produktbilder auf verschiedene Art und Weise ein. In einigen Fällen ist der dekodierte Barcode nicht mehr zu sehen (siehe oben). In anderen Fällen ist der dekodierte Barcode teilweise zu sehen:

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In wieder anderen Fällen ist der dekodierte Barcode vollständig zu sehen:

Die Produktinformationen ruft die „Flow App“ nach der Darstellung der Antragsgegnerin aus einer Datenbank von Amazon ab. In der Produktbeschreibung der A9.com, Inc. (Produktbeschreibung der A9.com, Inc. (archiviert am 4. November 2011), Anlage FR 6) heißt es unter der Überschrift „How does it Work?“:

“Flow uses continuous scan technology developed by A9.com’s visual search team to identify products and provide related information found on Amazon.com. The app then overlays Amazon’s popular shopping features such as product details, customer reviews and ratings, as well as sharing via Twitter, Facebook, or email; and immediate purchasing, including shipping with Amazon Prime.”

  • Damit wird jedenfalls das Merkmal 1.8 des Anspruchs 1, resp. Merkmal 1.9 des Anspruchs 10, nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Dieses Merkmal erfordert, wie oben ausgeführt, dass die Vorrichtung konfiguriert ist, um an einer Stelle einer Bilddarstellung des erfolgreich dekodierten Zeichens ein Produktbild anzuzeigen (Anspruch 1) und dass das Produktbild angezeigt wird (Anspruch 10). Das Produktbild entstammt einer in einer Datenbank bereitgehaltenen Nachschlagetabelle und ist darin dem erfolgreich dekodierten Zeichen zugeordnet. Das Produktbild gem. Merkmal 1.8 muss hierfür an einer Stelle angezeigt werden, die von dem Abbild des

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dekodierbaren Zeichens eingenommen wird oder – hinreichend lange - eingenommen worden ist. Denn nur so ist für den Nutzer, der sich dieser erweiterten Realität bewegt, klar, welche re- elle Produktabbildung welcher virtuellen Kennzeichnung eines dekodierten Zeichens zuzuord- nen ist. Daher muss sich die Kennzeichnung auch entsprechend der Bewegungen der Kamera in- nerhalb des Bildausschnitts mitbewegen und auch entsprechend verschwinden, wenn sich das dekodierte Zeichen nicht mehr im Bildausschnitt befindet.

Wie aus dem ab Minute 2:04-2:12 gezeigten Beispiel mit Scannen eines Barcodes ersichtlich und von der Lokalkammer im Termin durch Augenscheineinnahme überprüft, wird die Produktabbil- dung auch bei Veränderung des Bildausschnitts aufgrund einer Bewegung des Mobiltelefons im- mer an derselben Stelle innerhalb des Bildschirms angezeigt und zwar auch dann, wenn das ab- gefilmte Produkt aus dem Blickbereich verschwunden ist:

nn
DVD-Hiulle,Barcode nochsichtbar
Das Mobiltelefon wird vom Nutzer von der DVD-Hiulle wegbewegt:

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DVD-Hülle, Barcode schon nicht mehr sichtbar. Erdbeerschale bereits sichtbar; Dialogbox unverändert. DVD-Hülle nicht mehr sichtbar.

Vorstehend orange markiert ist die Schale mit Erdbeeren zu sehen, auf die das Handy gehalten wird, die graue Dialogbox auf dem Display zeigt jedoch noch die angeblich zum Barcode auf der DVD-Hülle ermittelten Informationen an. Erst nachdem der User aktiv die Einblendung auf dem Display weggeklickt hat, sind die Erdbeeren auch auf dem Bildschirm sichtbar:

Darüber hinaus wird in dem YouTube-Video nicht unmittelbar und eindeutig offenbart, wie die Vorrichtung (d.h. das Smartphone) tatsächlich konfiguriert ist oder wie das Verfahren tatsächlich verläuft.

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(2) Die Barinsa APP (https://www.youtube.com/watch?v=odNl4lAED5M, Anlagen FR 7-9) offenbart nicht sämtliche Merkmale der Patentansprüche 1 und 10 unmittelbar und eindeutig.

  • Das Video mit der Bezeichnung „Barinsa – New Barcode Scanner For Symbian Nokia“, im Folgenden „Barinsa Video“ zeigt die Verwendung der „Barinsa App“ mit einem Smartphone (bei Minute 1:24). Die „Barinsa App“ ermöglicht es einem Benutzer, durch Scannen eines Barcodes bestimmte Produktinformationen abzurufen. Dieses Video ist laut YouTube vom 1. November 2009. Dieses Video zeigt eine beispielhafte Implementierung der Barinsa Software, im Folgenden die „Barinsa App“. Laut Webseitenarchivierungsdienst „archive.org“ war dieses Video spätestens am 9. Februar 2012 online abrufbar (Anlagen FR 7-9). Die „Barinsa App“ gibt im Grundzustand ein über die Kamera des Smartphones aufgenommenes Live-Video wieder (Barinsa Video, bei

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Minute 1:24):

nsina

Auf einem im Live-Video angezeigten Barcode wird eine Scanlinie angezeigt, die von Rot zu Grün wechselt (Barinsa Video, bei Minute 1:52-1:55):

Barinsa

Shovimore Intot @alon?

500550604923848

Play (k)

1:52 / 5.51

Im Anschluss werden der Barcode und das Bild des Barcodes angezeigt (Barinsa Video, bei Minute 1:54):

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Barinsa

5055060923849

Snonmole Intolmabon?

1.54/5.51

Im Anschluss werden Produktinformationen abgerufen und eingeblendet (Barinsa Video, bei Minute 1:49-1:59). Die Produktinformationen umfassen unter anderem ein Produktbild, den Produktnamen, einen Produktpreis, etc.:

Barinsa

capcom Okami

Rating -Mismo)

GrolorceinnicnEzpescripucnGon
WoollySrin Volkdiat Koinm KchenWni
Oest Prict-69.95 [UR (tmeuter)Play (k)UvuuI
1,595,51

In Reaktion auf eine Benutzereingabe, hier das Auswählen der Produktinformation „Bewertung“ („Rating“), erhält der Benutzer weiterführende Informationen bzw. Funktionen (Barinsa Video, bei Minute 2:17-2:19). Im gezeigten Beispiel betreffen die weiterführenden Informationen eine aktuelle Bewertung des Produkts und die Möglichkeit, eine Bewertung abzugeben (Barinsa Video, bei Minute 2:19):

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Barinsa

Rate PS? Tekken 5Rionq 4 1/510@1

Oieat

bad

Jlilll 0

P 219/ 5.51 cg

  • Damit wird jedenfalls Merkmal 1.8 des Anspruchs 1 (1.9 des Anspruchs 10) nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Denn die Produktdarstellung wird, wie von der Lokalkammer im Termin durch Augenscheineinnahme überprüft, immer an derselben Stelle im Bildschirm angezeigt, und nicht an einer Stelle der Bilddarstellung des dekodierten Barcodes:

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Barinsa

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49

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Barinsa

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Barinsa

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Juptuong

Das Produktbild wird erst in einem zweiten Schritt, unabhängig von dem dekodierten Barcode und ohne Bezugnahme auf dessen Positionierung innerhalb des Bildausschnitts immer an derselben Bildschirmstelle angezeigt. Da wenigstens Merkmale 1.8 (Anspruch 1) und 1.9 (Anspruch 10) nicht erfüllt sind, ist die Barinsa App wie gezeigt in dem Barinsa Video nicht neuheitsschädlich für Ansprüche 1 und 10.

c) Die Kammer geht nicht auf eine mögliche offenkundige Vorbenutzung ein, denn hierzu hat die Antragsgegnerin schon keinen (konkreten) Vortrag gehalten. Vielmehr hat sie ausgeführt, dass es aus ihrer Sicht hierauf nicht ankomme. Der Bitte um einen richterlichen Hinweis dahingehend, dass zu einer offenkundigen Vorbenutzung vorzutragen ist, weil die sonstigen Argumente nicht durchgreifen, war nicht nachzukommen. Denn die Parteien bestimmen allein den Gegenstand des Rechtsstreits und die ihren Vortrag stützenden Beweismittel (Art. 43 EPGÜ). Im Übri-

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gen hat die Antragsgegnerin die Anzahl der von ihr gegen den Rechtsbestand angeführten Argumente wie geboten beschränkt und insoweit das Argument einer offenkundigen Vorbenutzung nicht mehr aufgegriffen.

d)

Gemäß Art. 56 EPÜ gilt eine Erfindung als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend, wenn sie sich für die fachperson nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Gemessen daran ist das Vorbringen der Antragsgegnerin nicht geeignet, erhebliche Zweifel am Vorliegen der erfinderischen Tätigkeit hervorzurufen.

aa)

Ob eine erfinderische Tätigkeit anerkannt wird, ist immer in jedem Einzelfall zu beurteilen und erfordert eine rechtliche Bewertung aller relevanten Tatsachen und Umstände. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit muss ein objektiver Ansatz verfolgt werden. Die subjektiven Vorstellungen des Anmelders oder Erfinders sind unerheblich. Im Prinzip ist es auch unerheblich, ob die Erfindung das Ergebnis eines Zufalls oder einer systematischen Arbeit mit (möglicherweise kostspieligen und mühsamen) Experimenten ist. Es ist nur relevant, was die beanspruchte Erfindung tatsächlich zum Stand der Technik beiträgt. Die erfinderische Tätigkeit ist aus der Sicht der Fachperson auf der Grundlage des gesamten Stands der Technik einschließlich des allgemeinen Fachwissens der Fachperson zu beurteilen. Es wird davon ausgegangen, dass die Fachperson zum maßgeblichen Zeitpunkt Zugang zum gesamten allgemein zugänglichen Stand der Technik hatte. Entscheidend ist, ob sich der beanspruchte Gegenstand so aus dem Stand der Technik ergibt, dass die Fachperson ihr auf der Grundlage ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten gefunden hätte, beispielsweise durch naheliegende Abwandlungen des bereits Bekannten.

Um zu beurteilen, ob eine beanspruchte Erfindung für eine Fachperson naheliegend war oder nicht, muss zunächst ein Ausgangspunkt im Stand der Technik bestimmt werden. Es muss begründet werden, warum die Fachperson einen bestimmten Teil des Standes der Technik als realistischen Ausgangspunkt ansehen würde. Ein Ausgangspunkt ist realistisch, wenn seine Lehre für eine Fachperson von Interesse gewesen wäre, die zum Prioritätszeitpunkt des Verfügungspatents ein ähnliches Erzeugnis oder Verfahren wie das im Stand der Technik offenbarte zu entwickeln suchte, das also ein ähnliches Grundproblem wie die beanspruchte Erfindung hat (vgl. CoA Nanostring/10x Genomics, S. 34 unter “cc” in der deutschen Originalfassung, “Für eine Fachperson, die sich zum Prioritätszeitpunkt des Verfügungspatents vor die Aufgabe gestellt sah, war […] D6 von Interesse”). Es kann mehrere realistische Ausgangspunkte geben. Es ist nicht notwendig, den “vielversprechendsten” Ausgangspunkt zu bestimmen.

Vergleicht man den beanspruchten Gegenstand nach Auslegung mit dem Stand der Technik, so stellt sich anschließend die Frage, ob es für die Fachperson naheliegend gewesen wäre, ausgehend von einer realistischen Offenbarung des Standes der Technik in Anbetracht des zugrunde liegenden Problems zu der beantragten Lösung zu gelangen. Wenn es nicht naheliegend war, zu dieser Lösung zu gelangen, erfüllt der beanspruchte Gegenstand die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ.

Im Allgemeinen ist eine beanspruchte Lösung naheliegend, wenn die Fachperson, ausgehend vom Stand der Technik, motiviert wäre (d. h. einen Anreiz hätte, vgl. die Entscheidungsgründe in NanoString v. 10x Genomics, S. 34), die beanspruchte Lösung in Betracht zu ziehen und sie als nächsten Schritt (“nächster Schritt”, Entscheidungsgründe in NanoString v. 10x Genomics, S. 35, zweiter Absatz) bei der Entwicklung des Standes der Technik umzusetzen. Andererseits kann es von Bedeutung sein, ob die Fachperson mit besonderen Schwierigkeiten bei der Durchführung des nächsten Schritts oder der nächsten Schritte gerechnet hätte. Je nach den Tatsachen und Umständen des Falles kann es zulässig sein, Offenbarungen des Standes der Technik zu kombinieren. Eine technische Wirkung oder ein Vorteil, der durch den beanspruchten Gegenstand im Vergleich zum Stand der Technik erzielt wird, kann ein Hinweis auf erfinderische Tätigkeit sein.

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Ein Merkmal, das willkürlich aus mehreren Möglichkeiten ausgewählt wurde, kann im Allgemeinen nicht zur erfinderischen Tätigkeit beitragen. Eine rückblickende Betrachtung muss vermieden werden. Die Frage der erfinderischen Tätigkeit sollte nicht dadurch beantwortet werden, dass man in Kenntnis des patentierten Gegenstands oder der patentierten Lösung rückwirkend nach (kombinierten) Offenbarungen des Stands der Technik sucht, aus denen diese Lösung abgeleitet werden könnte (UPC CFI 1/2023 ACT_459505/2023 (Zentralkammer München), GRUR-RS 2024, 17255).

bb)

Die Ausführungen der Antragsgegnerin begründen, ausgehend von der japanischen Patent- schrift JP 2009/093489 A (Anlagen FR 11-12), keine erheblichen Zweifel an der erfinderischen Tätigkeit der Ansprüche 1 und 10.

  • Die japanische Patentschrift wurde am 30. April 2009 veröffentlicht. Sie betrifft ein System mit einem Terminal (bspw. eine Kasse eines Einzelhandelsgeschäfts) und einem Server, der über ein Netzwerk mit dem Terminal verbunden sein kann (vgl. Abs. [0002]). Das Terminal ist mit einem Produktverarbeitungsgerät ausgestattet, die die an Produkten aufgebrachten Barcodes lesen, Produktverkäufe registrieren und Zahlungen verarbeiten kann (vgl. Abs. [0002]). Das Produktverarbeitungsgerät umfasst dafür einen Strichcode-Scanner (vgl. Abs. [0002]). Der Barcode-Scanvorgang ist aber mühsam und nicht immer zuverlässig (vgl. Abs. [0005]). Aufgabe der vorliegenden Druckschrift liegt daher in der Verbesserung des Code-Lesevorgangs (vgl. Abs. [0006]). Zur Lösung wird u.a. eine Produktverarbeitungsvorrichtung beschrieben. Wie in Absatz [0007] beschrieben, kann diese Produktverarbeitungsvorrichtung eine Bildgebungsvorrichtung und ein „Head-mounted display“ (HMD) umfassen. Die Bildgebungsvorrichtung erfasst u.a. Codeinformationen des Produkts, die mit dem HMD für den Kunden dargestellt werden. Eine Bildverarbeitung kann einen Produktcode, der in der Codeinformation enthalten ist, dekodieren. Eine Produktinformationserfassung sammelt basierend auf dem dekodierten Codeinformationen Produktinformationen. Schließlich zeigt eine Informationsanzeige die Produktinformation im HMD an.

Die Druckschrift beschreibt, dass das Terminal ein HMD 10, eine Videokamera 11 als Bildaufnahmegerät und eine Schnittstellenbox 12 umfasst (vgl. Abs. [0011]). Die Schnittstellenbox 12 ist mit einem Computer mit CPU, RAM, ROM usw. ausgestattet und umfasst außerdem eine Sende-/Empfangseinheit 21 (vgl. Abs. [0015]).

Die über die Videokamera 11 erfassten Bilddaten werden in Echtzeit auf dem HMD 10 angezeigt (vgl. Abs. [0015], [0016]). Zu den angezeigten Bilddaten werden Rahmendaten 21 in rechteckförmiger Form um den Barcode 4 hinzugefügt und mit angezeigt (vgl. Abs. [0016]). Der Rahmen 21 um den Barcode 4 dient dem Benutzer, um zu erkennen, dass der Barcode 4 erfolgreich dekodiert wurde. In der Patentbeschreibung heißt es dazu in Abs. [0033]:

“When the barcode 3 is identified, …, frame data 21 formed, for example, in a rectangle surrounding the barcode 4 is added to the chapter image data. By visually checking that the frame data 21 has been added to the barcode 4 displayed on the monitor display unit 17, the cashier 15 can recognize that the product code of the product 3 has been obtained from the barcode 3…”

Das HMD kann demnach Produktinformationen, die zum angezeigten Barcode 4 gehören, zusätzlich zum Barcode 4 anzeigen. Die Produktinformationen können den Produktnamen A des Erzeugnisses ‚Süßwaren‘, den Stückpreis B ‚180 Yen‘ und den Produktcode C ‚49123456‘, etc. umfassen. Dies ist in der nachfolgend eingeblendeten Figur 2 dargestellt:

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Die angezeigten Produktinformationen werden auf dem Server hinterlegt (vgl. Abs. [0019]). Diese Produktinformationen werden dadurch erhalten, dass die Schnittstellenbox 12 an den Server den Produktcode sendet. Mit dem Produktcode sucht der Server nach den Produktinformationen, die diesem Produktcode zugewiesen sind (vgl. Abs. [0019]). Der Server sendet die gefundenen Schnittstellenbox 12 zurück.

Der Benutzer kann, nachdem die zu dem Barcode 4 zugehörigen Produktinformationen angezeigt werden, eine Registrierung des Produkts zum Kauf bestätigen. Durch Bestätigen wird das Produkt einer Kaufliste hinzugefügt und der Gesamtpreis ermittelt (vgl. Abs. [0026], [0030], [0033]). Nach Darstellung der Antragsgegnerin sei die Bestätigung, die durch den Blick auf die Produktinformationen erfolge, eine Benutzereingabe für den erfolgreich dekodierten Barcode im Sinne des Streitpatents. Das Hinzufügen des Produkts zu einer Einkaufsliste sowie die Ermittlung des Gesamtpreises stellten Ausgaben dekodierter Nachrichten für den Barcode dar.

Nach Darstellung der Antragsgegnerin offenbare die Druckschrift damit alle Merkmale des Anspruchs 1. Sie offenbare lediglich nicht ausdrücklich, dass als Produktinformation ein Produktbild angezeigt werde (Merkmal 1.8 der Ansprüche 1 und 10). Die Druckschrift beschreibe aber bereits, so die Antragsgegnerin, dass Produktinformationen in Form von Produktname, Preis, Produktcode, usw. zurückgegeben würden. Die Druckschrift deute damit bereits darauf hin, dass auch weitere oder andere Produktinformationen vom Server für die Anzeige zurückgegeben werden könnten. Ein Produktbild stelle lediglich neben den genannten Produktinformationen (Produktname, Preis, Produktcode) eine weitere Produktinformation dar. Anstatt oder zusätzlich zu den bereits vom Server zurückgegebenen Produktinformationen auch ein Produktbild zurückzugeben, stelle lediglich eine von vielen möglichen Produktinformationen dar. Die Einbindung eines Produktbildes erfordere keine Anpassung des Systems der japanischen Druckschrift. Die Datenbank lasse sich problemlos damit erweitern und stelle die Fachperson vor keine Schwierigkeiten. Diese Anpassung liege damit im Griffbereich der Fachperson.

Der Umstand, dass die japanische Patentschrift einem Kassierer an einer Kasse die Kaufabwicklung erleichtern möchte, stelle dies nicht in Frage. Das gleiche gelte mit Blick auf den Umstand, dass der Kassierer das Produkt mit dem dekodierbaren Zeichen bereits vor sich habe. Für den Kassierer mache es trotzdem Sinn, dass die Vorrichtung ihm ein Produktbild anzeige. Ein Produktbild ermögliche dem Kassierer eine Plausibilitätskontrolle. Der Kassierer könne mit Hilfe des Produktbilds überprüfen, ob das dekodierbare Zeichen richtig dekodiert worden sei. Der Kassierer könne mit Hilfe.

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des Produktbilds auch überprüfen, ob das Produkt (versehentlich durch einen Kollegen oder in betrügerischer Absicht durch einen Kunden) falsch gekennzeichnet worden sei. Die Antragstellerin erwähne selbst, dass der Kassierer nach der japanischen Patentschrift überprüfen können solle, ob er ein Produkt erfolgreich gescannt hat oder ob dabei ein Fehler aufgetreten sei. Erwähnt werde eine Überprüfung des Produktnamens, des Produktpreises und der Produktgruppe. Bei all dem gehe es um eine Plausibilitätskontrolle des Scanvorgangs. Ein einfacher und naheliegender Weg dafür sei die Anzeige eines Produktbildes. Dass der Kassierer ein bestimmtes Produkt vor sich habe, ändert an dieser Bewertung nichts. Die Dinge lägen soweit nicht anders als beim Streitpatent. Auch dort habe der Nutzer immer mindestens einen bestimmten Gegenstand vor sich, auf den er die Kamera seiner Vorrichtung richte.

Auch wenn Merkmal 1.8 nicht unmittelbar und eindeutig offenbart sein sollte, so lege die japanische Patentschrift jedenfalls nahe, dass nach Auswahl eines dekodierten Zeichens weitergehende Informationen angezeigt werden. Das gelte insbesondere mit Blick auf die bereits angesprochene Plausibilitätskontrolle. Das angezeigte Produktbild könne nahelegen, dass der Scanvorgang fehlerhaft gewesen sei. Der Kassierer werde das Ergebnis des Scanvorgangs in diesem Fall überprüfen wollen. Ein einfacher und naheliegender Weg dafür sei die Überprüfung weitergehender Informationen zu dem (möglicherweise falsch erkannten) Produkt.

  • Diese Ausführungen haben die Kammer nicht überzeugt. Unabhängig davon, dass die Antragsgegnerin keinen Grund dafür angibt, warum die Fachperson die japanische Schrift als realistischen Ausgangspunkt ihrer Überlegungen zur Lösung der patentgemäßen Aufgabe heranziehen würde, geht es der japanischen Schrift darum, dem Kassierer am „Point of Sale“ den Scanvorgang zu vereinfachen, wobei der Kassierer das zu scannende Produkt in seinen eigenen Händen hält. Der Kassierer weiß also, welchen Gegenstand er scannt, der zudem genau über einen einzigen Barcode verfügt. Dieser Barcode wird in dem HMD 10 („head mounted display“) eingeblendet sowie für den Kassiervorgang relevante Informationen wie Produktname, Produktpreis und Produktcode, sonst aber nichts. Denn bei der von der Schrift adressierten Aufgabe bedarf es keiner weiteren Anzeige von sonstigen Informationen, geschweige denn Produktbildern. Die Antragsgegnerin hat kein Anlass dafür vorgetragen und ein solcher ist auch sonst nicht ersichtlich, warum die Fachperson das HMD dahingehend erweitern sollte, dass dem Kassierer neben dem echten Abbild des auf dem Kassenband befindlichen Produkts und den weiteren Informationen, die bereits einer Verifizierung der Korrektheit des Scanvorgangs dienen, zusätzlich noch eine aus einer Datenbank abgerufene Produktdarstellung virtuell in das HMD eingeblendet werden sollte. Soweit die Antragsgegnerin ihre Argumentation auch auf die Offenbarung der Patentschrift stützt, ist dies nicht zu berücksichtigen, weil dies zu einer unzulässigen rückschauenden Betrachtung führen würde.

Unabhängig hiervon wird auch Merkmal 1.9 (1.10 in Anspruch 10) nicht unmittelbar und eindeutig offenbart. Denn nirgends wird eine Benutzereingabe im Sinn des Patents offenbart. Der von der Antragsgegnerin herangezogene Blick des Kassierers auf die Produktinformationen kann vom System nicht zur Kenntnis genommen werden, kann demnach keine Benutzereingabe darstellen. Der Vortrag der Antragsgegnerin zum Naheliegen in Bezug auf Merkmal 1.9 überzeugt ebenfalls nicht. Für die Fachperson wäre es ausgehend von dieser Schrift abwegig, eine Benutzereingabe vorzusehen, wobei in Reaktion auf diese Eingabe weitere Informationen betreffend das dekodierte Zeichen, zusätzlich zu dem Produktnamen, dem Stückpreis, dem Produktcode sowie dem Produktbild aus der Datenbank (Merkmal 1.8 in Anspruch 1, 1.9 in Anspruch 10), angezeigt werden. Es ist schon nicht vorgetragen, welche weiteren Informationen dies sinnvollerweise sein.

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könnten oder wie diese üppige Fülle von Bildern und Informationen alle in dem Display Platz haben und von einem durchschnittlichen Kassierer gewinnbringend erfasst werden könnten. Ge-mäß der japanischen Schrift werden bereits alle notwendigen Informationen über das Produkt automatisch aufgrund des Dekodierungsvorgangs ausgegeben. Eine Benutzereingabe ist dem-nach nicht notwendig. Vielmehr geht das System davon aus, dass der Scanvorgang als solches die einzige Handlung ist, mit der der Kassierer eine Information an das System sendet. Vor diesem Hintergrund soll gerade der Arbeitsvorgang eines Kassierers vereinfacht werden, sodass er möglichst wenige Aktionen vornehmen muss. Diesem Ziel würde es zuwiderlaufen, wenn der Kassierer über den Scanvorgang und das Betrachten der eingeblendeten Informationen hinaus eine zusätzliche Benutzereingabe vornehmen müsste, um noch mehr Informationen (welche?) betreffend das dekodierte Zeichen zu erhalten. Auch insoweit lehrt die Schrift vom Gegenstand des Klagepatents weg.

IV. Notwendigkeit

Die Anordnung einstweiliger Maßnahmen ist notwendig, um die Fortsetzung der Verletzung zu unterbinden oder zumindest eine drohende Verletzung zu verhindern (vgl. R. 206.2 (c) VerfO).

Für die Notwendigkeit der Anordnung einstweiliger Maßnahmen sind nach der Verfahrensord-nung sowohl zeitliche als auch sachliche Umstände von Bedeutung. Die Relevanz zeitlicher Um-stände ergibt sich neben R. 209 Nr. 2 (b) VerfO („Dringlichkeit“) insbesondere auch aus R. 211 Nr. 4 VerfO, wonach das Gericht ein unangemessenes Zuwarten bei der Beantragung einstweili-ger Maßnahmen berücksichtigt. Dass in die Entscheidung über die Anordnung einstweiliger Maßnahmen darüber hinaus auch sachliche Umstände einzufließen haben, ergibt sich etwa aus R. 211 Nr. 3 VerfO, wonach bei der Entscheidung über den Anordnungsantrag insbesondere auch der mögliche Schaden, der dem Antragsteller erwachsen kann, zu berücksichtigen ist. Der mögliche Schaden des Antragsgegners ist demgegenüber bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen (UPC_CFI_2/2023 (LK München), Anordnung v. 19.09.2023, GRUR 2023, 1513, 1525 – Nachweisverfahren).

1. Aufgrund der hier gegebenen Umstände ist die Anordnung der beantragten einstweiligen Maßnahmen in zeitlicher Hinsicht dringlich (R. 209.2 (b) VerfO).

a) Die für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen notwendige zeitliche Dringlichkeit fehlt nur dann, wenn sich der Verletzte bei der Verfolgung seiner Ansprüche in einer solchen Weise nach-lässig und zögerlich verhalten hat, dass aus objektiver Sicht der Schluss geboten ist, dem Verletz-ten sei an einer zügigen Durchsetzung seiner Rechte nicht gelegen, weswegen es auch nicht an-gemessen erscheint, ihm die Inanspruchnahme vorläufigen Rechtschutzes zu gestatten (vgl. auch UPC_CFI 2/2023 (LK München), Anordnung v. 19.09.2023, 1513, 1524 – Nachweisverfah-ren).

Gemäß R. 213.2 VerfO kann das Gericht dem Antragsteller im Rahmen der Entscheidungsfindung auferlegen, alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel vorzulegen, um sich mit ausrei-chender Sicherheit davon überzeugen zu können, dass er gemäß Art. 47 EPGÜ zur Einleitung des Verfahrens berechtigt ist, das betreffende Patent Gültigkeit besitzt und sein Recht verletzt wird oder verletzt zu werden droht. Auf eine solche Anordnung muss der Antragsteller im Eilverfah-ren regelmäßig innerhalb kurzer Fristen reagieren, was eine entsprechende Vorbereitung des

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Verfahrens voraussetzt. Daher braucht der Antragsteller das Gericht grundsätzlich erst dann an-

zurufen, wenn er verlässliche Kenntnis aller Tatsachen hat, die eine Rechtsverfolgung im Verfah-

ren auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen erfolgversprechend machen und wenn er diese

Tatsachen auch in glaubhaft machen kann. Der Antragsteller darf sich auf jede mögliche pro-

zessuale Situation, die nach Lage der Dinge eintreten kann, derart vorbereiten, dass er dem Ge-

richt auf eine entsprechende Anordnung hin die angeforderten Informationen und Unterlagen

präsentieren und auf das Vorbringen der Antragsgegnerseite erfolgreich erwidern kann. Grund-

sächlich kann der Antragsteller nicht darauf verwiesen werden, Nachermittlungen erforderli-

chenfalls erst während eines laufenden Verfahrens anzustellen und notwendige Unterlagen nö-

tigenfalls nachträglich zu beschaffen. Als Kehrseite davon darf der Antragsteller jedoch auch

nicht unnötig zögern. Sobald er den mutmaßlichen Verletzungssachverhalt kennt, muss er dem

nachgehen, die notwendigen Aufklärungsmaßnahmen treffen und die zur Stützung seines Vor-

bringens erforderlichen Unterlagen besorgen. Hierbei hat er die gebotenen Schritte jeweils ziel-

strebig in die Wege zu leiten und zum Abschluss bringen. Sobald der Antragsteller über alle

Kenntnisse und Unterlagen verfügt, die verlässlich eine aussichtsreiche Rechtsverfolgung ermög-

lichen, muss er den Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen regelmäßig innerhalb von

zwei Monaten anbringen (UPC_CFI_443/2023 ACT_589207/2023 (LK München), LS 1; a.A. inner-

halb eines Monats: UPC_CFI_452/2023 (LD Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, GRUR-RS

2024, 7207, Rz. 128).

b)

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Antragstellerin die Angelegenheit mit der not-

wendigen Dringlichkeit behandelt. Denn der Antrag wurde am selben Tag gestellt, an dem die

Eintragung der einheitlichen Wirkung Wirksamkeit erlangt hat. Früher hätte die Antragstellerin

das Streitpatent nicht erfolgreich geltend machen können. Soweit die Antragsgegnerin auf paral-

lele US-amerikanische Schutzrechte verweist, ist gerichtsbekannt, dass in den Vereinigten Staa-

ten von Amerika derzeit aufgrund der Rechtsprechung Merck v. eBay auch in Hauptsacheverfah-

ren Unterlassungsschutz nur ausnahmsweise im Einzelfall zu erlangen ist. Die Antragsgegnerin

hat nichts dazu vorgetragen, dass vorliegend von einer solchen Ausnahmesituation auszugehen

sei. Eine etwaige von einem US-Gericht ausgesprochene Unterlassungsanordnung hätte im Übri-

gen auch keine Auswirkungen auf das Territorium der Vertragsmitgliedsstaaten des EPGÜ.

2.

Die Anordnung einstweiliger Maßnahmen ist aufgrund des Schadens, welcher der Antragstel-

lerin durch das rechtsverletzende Produktangebot der Antragsgegnerin droht, auch in sachlicher

Hinsicht notwendig.

Der Antragstellerin würde erheblicher Schaden drohen, wenn sie ihren Unterlassungsanspruch

erst im Wege eines Hauptsacheverfahrens durchsetzen könnte. Die Parteien sind Wettbewerber

beim Vertrieb von Lesegeräten und Software zum Dekodieren von Barcodes. Die Antragsgegne-

rin beliefert nach eigenen Angaben sechs der zehn führenden „Fortune 500“-Unternehmen und

ihre Technologie wird aktuell auf mehr als 150 Millionen Geräten eingesetzt. Dies führt zu einem

kaum rückgängig zu machenden Verlust an Marktanteilen der Antragstellerin. Die Vermark-

tungsaktivitäten der Antragsgegnerin sind daher geeignet, erhebliche, insbesondere langfristige

Schäden der Antragstellerin zu verursachen, indem sie die Marktanteile der Antragstellerin un-

mittelbar schmälern. Diese Verringerung der Marktchancen der Antragstellerin können nicht

rein monetär ausgeglichen werden. Das Verfügungspatent verliert jeden Tag ohne Durchset-

zungsmöglichkeit an Laufzeit, innerhalb derer der Schutz eigener Absatzmöglichkeiten durch das

Ausschließlichkeitsrecht des Verfügungspatents gewährleistet ist. Dieser zeitliche Wert des Ver-

fügungspatents ist unumkehrbar. Hinzu kommt ferner, dass mit Blick auf die Abnehmer von Bar-

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codescannerprodukten nicht von einer schnellen Wechselbereitschaft zu Produkten eines ande-

ren Herstellers, namentlich der Antragstellerin, auszugehen ist. Ein Unternehmen, das seinen

Betrieb auf einen bestimmten Scanner und die entsprechende Scannersoftware ausgerichtet

und insbesondere seine Mitarbeiter zu einer bestimmten Benutzeroberfläche der Software ge-

schult hat, wird kurz- und mittelfristig davon absehen, ein anderes Scannerprodukt zu erwerben.

Denn dies würde einen Umstellungsaufwand der betrieblichen Abläufe und einen Schulungsauf-

wand für die Mitarbeiter bedeuten, den die entsprechenden Unternehmen betriebswirtschaft-

lich zu vermeiden suchen.

Diese Schäden sind auch nicht in Geld auszugleichen, sodass die beantragte Gestattung der Fort-

setzung der Patentverletzung gegen Sicherheitsleistung nicht in Betracht kommt.

Diejenigen Schäden, die der Antragsgegnerin bei Anordnung der beantragten einstweiligen

Maßnahmen drohen, gehen hingegen nicht über das hinaus, was ein Patentverletzer regelmäßig

zu vergegenwärtigen hat. Diese sind mit Blick auf die angeordnete Sicherheitsleistung weitge-

hend mit Geld kompensierbar. Im Einzelnen:

  1. Diejenigen Umsatzeinbußen, die die Antragsgegnerin dadurch erleidet, dass sie während der
  2. Wirksamkeit der Unterlassungsanordnung das SDK nicht unverändert zu den patentgemäßen
  3. Zwecken anbieten oder liefern darf, werden durch die Sicherheitsleistung ebenso abgedeckt,
  4. wie etwaige Kosten für eine Anpassung des SDK und der Dokumentation. Die Höhe der Sicher-
  5. heitsleistung folgt dem Antrag der Antragsgegnerin.

Ebenso verhält es sich mit etwaigen Schäden, die der Antragsgegnerin während der Wirksam- keit der Unterlassungsanordnung aufgrund der Befriedigung von Schadensersatzforderungen ihrer Abnehmer erleiden sollte.

Soweit die Antragsgegnerin eine kaum wiedergutzumachende Rufschädigung und damit ein- hergehend auch den Verlust der Möglichkeit, neue Kunden anzuwerben, ins Feld führt, so sind auch das regelmäßige Folgen einer Verurteilung zur Unterlassung, die, soweit sie nicht mit Geld wieder gutzumachen sind, in die Interessenabwägung einzustellen sind. Vorliegend geht die In- teressenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin aus.

V. Interessenabwägung

Auch die vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus.

  1. Nach Maßgabe von Art. 62 Abs. 2 EPGÜ (R. 211 Nr. 3 VerfO) hat das Gericht nach Ermessen
  2. die Interessen der Parteien im Hinblick auf den Erlass der Anordnung oder die Abweisung des
  3. Antrags gegeneinander abzuwägen; dabei sind alle relevanten Umstände in die Abwägung einzu-
  4. stellen, insbesondere auch die möglichen Schäden, die den Parteien durch den Erlass der Anord-
  5. nung oder die Abweisung des Anordnungsantrages erwachsen können. Für die Ausübung des
  6. Ermessens ist dabei auch der Wahrscheinlichkeitsgrad, zu dem das Gericht vom Vorliegen der
  7. einzelnen in die Abwägung einzustellenden Umstände überzeugt ist, maßgeblich. Je sicherer die
  8. Überzeugung des Gerichts davon ist, dass der Rechtsinhaber die Verletzung eines gültigen Pa-
  9. tents geltend macht, aufgrund sachlicher und zeitlicher Umstände die Notwendigkeit zum An-
  10. ordnungserlass besteht und dem auch mögliche Schäden des Gegners oder sonstige berechtigte
  11. Einwendungen nicht entgegenstehen, desto eher ist der Erlass einer Untersagung gerechtfertigt.

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Je eher hingegen hinsichtlich einzelner der für die Interessenabwägung maßgeblichen Umstände relevante Unsicherheiten bestehen, die der Überzeugung des Gerichts abträglich sind, wird das Gericht als mildere Maßnahme die an eine Sicherheitsleistung geknüpfte Zulassung der Fortsetzung der angeblichen Verletzung oder gar die Abweisung des Antrags in Betracht zu ziehen haben (UPC_CFI_2/2023 (LK München), Anordnung v. 19.09.2023, 1513, 1525 f. – Nachweisverfahren).

2.

Dies vorausgeschickt ist der Erlass der beantragten Anordnung auch nach einer Abwägung der Interessen gerechtfertigt.

Nachdem es die Antragsgegnerin im Eilverfahren nicht vermocht hat, eine mittelbare Verletzung von Patentanspruch 1 und Patentanspruch 10 des Streitpatents erheblich in Abrede zu stellen, ist die Lokalkammer bei summarischer Prüfung von einer mittelbaren Verletzung des Streitpatents durch die Handlungen der Antragsgegnerin überzeugt. Zudem ist es der Antragsgegnerin nicht gelungen, erhebliche Zweifel am Rechtsbestand des Streitpatents zu erzeugen. Die Lokalkammer ist schließlich auch der klaren Überzeugung, dass die Anordnung einstweiliger Maßnahmen vorliegend aufgrund der Verletzung des Streitpatents sowohl in sachlicher als auch in zeitlicher Hinsicht notwendig ist.

Vor dem Hintergrund der festgestellten Verletzung des Streitpatents hat die Antragsgegnerin kein berechtigtes Interesse daran, die das Streitpatent mittelbar verletzenden angegriffene Ausführungsform im Gebiet der EPGBÜ-Vertragsstaaten anzubieten oder zu liefern.

Die nicht in Geld kompensierbaren Nachteile für die Antragstellerin im Falle einer Verweisung auf das Hauptsacheverfahren stehen diejenigen nicht in Geld kompensierbaren Nachteile für die Antragsgegnerin im Falle des Erlasses der beantragten Unterlassungsanordnung gegenüber. In einer solchen Situation ist den Interessen des Patentinhabers regelmäßig der Vorzug zu geben (UPC_CFI_2/2023 (LK München), Anordnung v. 19.09.2023, GRUR-RS 2023, 25256 – Nachweisverfahren, Rz. 270), so auch hier, zumal die Antragsgegnerin eingeräumt hat, dass eine Nutzung des SDK auch ohne die patentgemäße Funktionalität möglich und sinnvoll und eine Anpassung des SDK prinzipiell möglich ist. Mit Blick auf das frühzeitige Herantreten der Antragstellerin an die Antragsgegnerin im Mai 2019 (Anlage FR 19), damals noch unter Bezugnahme auf das parallele US-Patent 9208367, handelte die Antragsgegnerin auf eigenes Risiko, wenn sie in Kenntnis des US-Patents das SDK unverändert im Gebiet der Vertragsmitgliedsstaaten angeboten und vertrieben hat. Denn sie hätte die am 18. August 2021 offengelegte Anmeldung des Streitpatents zur Kenntnis nehmen und die notwendigen Schlüsse daraus ziehen können.

VI. Rechtsfolgen

Die Lokalkammer München ist mit der für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, dass die Antragsgegnerin durch das Angebot und die Lieferung des SDK im Geltungsbereich des Streitpatents widerrechtlich von der durch Patentanspruch 1 und Patentanspruch 10 des Streitpatents unter Schutz gestellten technischen Lehre mittelbar Gebrauch macht. Ebenso ist der Rechtsbestand des Streitpatents in dem für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erforderlichen Umfang gesichert. Da die Anordnung einstweiliger

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Maßnahmen auch sowohl zeitlich als auch sachlich notwendig ist und zudem auch die Interessenabwägung zu Gunsten der Antragstellerin ausfällt, ergeben sich die nachstehenden Rechtsfolgen:

  1. Das Gericht hält unter Ausübung seines Ermessens (R. 209.2 VerfO) den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsanordnung für angemessen und gerechtfertigt (Art. 62 (1), 26 (1) EPGÜ). Nur eine Unterlassungsanordnung trägt dem Interesse der Antragstellerin an der effektiven Durchsetzung des Streitpatents Rechnung. Dahinter muss das Interesse der Antragsgegnerin an der Fortsetzung des Vertriebs – auch bei Leistung einer Sicherheitsleistung – aus den genannten Gründen zurücktreten.
  2. Unter den Umständen des vorliegenden Falls ist es gerechtfertigt, diese Unterlassungsanordnung, wie beantragt, als Absolutverbot auszusprechen.
  3. Bei einer Unterlassungsanordnung zur Unterbindung einer mittelbaren Patentverletzung ist stets zu erwägen, ob mit Blick auf die dem Patentverletzer verbleibenden Möglichkeiten, die wesentlichen Mitteln zu anderen, nicht patentverletzenden Zwecken anzubieten oder zu liefern, ein Relativverbot oder ein Absolutverbot auszusprechen ist. Hierbei ist zu insbesondere zu erwägen, ob die Gefahr einer unmittelbaren Patentverletzer durch die Abnehmer des mittelbaren Patentverletzers hinreichend durch ein relatives Verbot, zum Beispiel aufgrund von Warnhinweisen, abgewehrt werden kann, und ob und mit welchem Aufwand eine Umgestaltung des Mittels dahingehend, das ihm die Eignung, patentgemäß verwendet zu werden, genommen wird, möglich erscheint.
  4. Vorliegend ist unstreitig, dass es der Antragsgegnerin möglich ist, die streitgegenständliche Funktion mittels eines Updates aus der von ihr vertriebenen Programmbibliothek und aus entsprechenden Werbeaussagen zu entfernen. Das SDK würde dadurch nicht unbrauchbar, sondern würde weiterhin eine Vielzahl von nicht patentverletzenden Funktionalitäten bereitstellen. Nach Darstellung der Antragsgegnerin würde es sich dabei sogar um den Schwerpunkt der Funktionen handeln. Weiter stellt sich die Kontrolle des Verhaltens einer Vielzahl von Abnehmern ungleich schwerer dar, zumal die Benutzung der mit dem SDK entwickelten Software meist im innerbetrieblichen Bereich der Abnehmer erfolgen wird. Unter Abwägung dieser Umstände erscheint der Kammer vorliegend ein Absolutverbot als gerechtfertigt. Die Abänderung des SDK ist möglich und angesichts der beschriebenen Probleme, ein rechtmäßiges Verhalten der Abnehmer zu kontrollieren, auch gerechtfertigt.
  5. Bei der Formulierung der Unterlassungsanordnung war herauszustellen, dass insbesondere die SDK als Mittel zur Erstellung einer Betriebssoftware vom Verbot umfasst ist. Eine Teilzurückweisung ist damit nicht verbunden.
  6. Die Androhung von Zwangsgeldern für den Fall der Zuwiderhandlung findet in R. 354.3 VerfO ihre Grundlage. Mit der Anzahl der Tage steht eine Größe für die Berechnung der Zwangsgelder bereits fest. Die Festsetzung einer Höchstgrenze pro Tag der Zuwiderhandlung gibt der Lokal-

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kammer jedoch die notwendige Flexibilität, um im Fall einer Zuwiderhandlung auch das Verhalten des Verletzers zu berücksichtigen und davon ausgehend gemäß R. 354.4 VerfO ein angemessenes Zwangsgeld festsetzen zu können.

4. Eine unmittelbare Verletzung des Anspruchs 1 des Streitpatents

lässt sich hingegen zumindest nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht feststellen. Daher war der Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen insoweit zurückzuweisen.

VII. Sicherheitsleistung

1.

Gemäß R. 211.5 VerfO S. 1 VerfO kann das Gericht für die im Falle der Aufhebung der Anordnung einstweiliger Maßnahmen durch das Gericht eventuell von ihm zu leistende angemessene Entschädigung des Antragsgegners für den Schaden, den dieser wahrscheinlich erleiden wird, die Erbringung einer angemessenen Sicherheit verlangen. Nach der Rechtsprechung der Lokal-kammer München, z.B. im Fall 10x Genomics v. NanoString, besteht hierfür in einem zweiseitig geführten einstweiligen Verfügungsverfahren dann kein Anlass, wenn sowohl mit Blick auf die wirtschaftliche Verfassung der Antragstellerin als auch mit Blick auf das Vollstreckungsrecht im Heimatstaat der Antragstellerin keine besonderen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Vollstreckung eines etwaigen Schadensersatztitels zu erwarten sind (UPC_CFI 2/2023 (LK München), Anordnung v. 19.09.2023, 1513, 1524 – Nachweisverfahren).

2.

Vorliegend hat die Antragsgegnerin im Termin, anders als die Antragsgegnerin in dem Fall 10x Genomics, vorgetragen, dass ein Verfahren auf Anerkennung und Vollstreckung eines ausländischen Schadensersatztitels in den Vereinigten Staaten von Amerika Prozesskosten in erheblicher Höhe verursache, die selbst bei Erfolg nicht vom Schuldner zu erstatten seien. Die Antragstellerin hat sich hierzu nicht geäußert. Dieser Vortrag der Antragsgegnerin gilt daher im vorliegenden Verfahren als unstreitig (Regel 171.2 VerfO). Da eine vollständige Kompensation des Unterlassungsschuldners geschuldet und sicherzustellen ist, sind derartige nicht erstattbare Prozesskosten, soweit sie in erheblicher Höhe anfallen, zu berücksichtigen. Dieser Gesichtspunkt führt vorliegend dazu, dass die Lokalkammer das ihr eingeräumte Ermessen dahingehend ausübt, eine Sicherheitsleistung anzuordnen.

3.

Was die Höhe der Sicherheitsleistung betrifft, soll diese die Prozesskosten, andere Kosten wegen der Vollstreckung sowie eine mögliche Kompensation für entstandene oder wahrscheinlich entstehende Schäden abdecken, R. 352.1 VerfO. Mangels entgegenstehenden Vortrags der Antragstellerin bemisst die Lokalkammer die Sicherheitsleistung auf den von der Antragsgegnerin im Termin geforderten Betrag in Höhe von 500.000,00 €.

4.

Nach R. 211.5 VerfO S. 3 VerfO entscheidet das Gericht darüber, ob die Sicherheitsleistung durch Hinterlegung oder durch Bankbürgschaft erfolgen soll. Die Lokalkammer übt das ihr dadurch eingeräumte Ermessen dahingehend aus, dass die Sicherheitsleistung durch Hinterlegung zu erfolgen hat. Denn dies entbindet die Parteien und das Gericht von einer Diskussion dar-

VIII. Kosten

Für eine Kostengrundentscheidung besteht in Verfahren zur Anordnung einstweiliger Maßnahmen grundsätzlich dann keine Veranlassung, wenn auf das Eilverfahren – wie hier – ein Hauptsacheverfahren folgt. Da das teilweise Unterliegen der Antragstellerseite wirtschaftlich betrachtet nicht wesentlich ins Gewicht fällt, ist vorliegend keine Ausnahme von diesem Grundsatz zu machen.

  1. Auch wenn sich das Berufungsgericht bisher nicht im Einzelnen mit der Frage der Kostenerstattung im Eilverfahren befassen musste, hat es bereits anerkannt, dass es nicht in jedem Fall einer Kostengrundentscheidung bedarf. Handelt es sich bei einer Entscheidung nicht um eine „final order“ oder eine „final decision“, kann das Gericht nach Auffassung des Berufungsgerichts erst im Rahmen einer späteren Endentscheidung festlegen, ob und in welchem Umfang eine Partei die Kosten der anderen Partei zu tragen hat, weil sie im Sinne von Art. 69 EPGÜ unterlegen ist (UPC_CoA_433/2023, UPC_CoA_435/2023; UPC_CoA_436/2023; UPC_CoA_437/2023; UPC_CoA_438/2023, Anordnung v. 03.04.2023, Leitsatz 2). Ein solches Vorgehen ist zumindest auch dann angezeigt, wenn sich – wie hier – an das Eilverfahren ein Hauptsacheverfahren anschließt. Für eine analoge Anwendung von R. 118.5 VerfO fehlt es dann bereits an einer planwidrigen Regelungslücke als Grundvoraussetzung einer solchen (UPC_CFI_452/2024 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 09.04.2024, Leitsatz 2 und S. 34 f., GRUR-RS 2024, 7207, Rz. 161 - 163; a.A.: UPC_CFI_249/2023 (LK München), Anordnung v. 19.12.2023, Leitsatz, GRUR-RS 2023, 40572).
  2. Vorliegend hat die Antragsgegnerseite zwar teilweise obsiegt, der auf eine unmittelbare Verletzung des Anspruchs 1 gerichtete Unterlassungsantrag wurde zurückgewiesen. Der Hilfsantrag wegen mittelbarer Verletzung des Anspruchs 1 war aber erfolgreich, insoweit wurde ein Absolutverbot ausgesprochen. Daher fällt die Teilabweisung wirtschaftlich nicht wesentlich ins Gewicht. Der Antragsgegnerin kann daher zugemutet werden, das Hauptsacheverfahren abzuwarten.

ANORDNUNG

I. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es zu unterlassen,

  1. Dritten im Hoheitsgebiet des Königreichs Belgien und/oder der Republik Bulgarien und/oder des Königreichs Dänemark und/oder der Bundesrepublik Deutschland und/oder der Republik Estland und/oder der Republik Finnland und/oder Französischen Republik und/oder der Italienischen Republik und/oder der Republik Lettland und/oder der Republik Litauen und/oder des Großherzogtums Luxemburg und/oder der Republik Malta und/oder der Niederlande und/oder der Republik Österreich und/oder der Portugiesischen Republik und/oder des Königreichs Schweden und/oder der Republik Slowenien

Mittel, namentlich Software, namentlich das SDK, die geeignet und bestimmt sind, als Betriebssoftware oder zur Erstellung einer Betriebssoftware für Zeichenlesevorrichtungen, umfassend: einen oder mehrere Prozessoren; einen Speicher; ein Bildgebungssubsystem,

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das konfiguriert ist, um ein Bild von dekodierbaren Zeichen zu erfassen; eine Anzeige und eine Kommunikationsschnittstelle, wobei die Vorrichtung konfiguriert ist, um:

als Reaktion auf das Erfassen eines Bildes eines oder mehrerer Objekte innerhalb eines Sichtfeldes des Bildgebungssubsystems ein oder mehrere dekodierbare Zeichen innerhalb des Bildes zu lokalisieren und zu dekodieren; das Bild auf der Anzeige anzuzeigen und das eine oder die mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen visuell zu kennzeichnen; ein Produktbild an einer Stelle einer zugeordneten Bilddarstellung von jedem des einen oder der mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen anzuzeigen, wobei das besagte Produktbild basierend auf einer aus einer Datenbank abgerufenen Nachschlagetabelle durch die besagte Vorrichtung den erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist; als Reaktion auf das Annehmen einer Benutzereingabe, die mindestens ein erfolgreich dekodiertes dekodierbares Zeichen des/der angezeigten einen oder mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen auswählt, mindestens eine dekodierte Nachricht, die dem mindestens einen ausgewählten erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen entspricht, und/oder mindestens ein Produktbild, das dem mindestens einen ausgewählten erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist, und/oder Daten auszugeben, die bestimmt werden, wenn das mindestens eine ausgewählte erfolgreich dekodierte dekodierbare Zeichen dekodiert wird,

zur Benutzung in einem oder mehreren dieser Staaten anzubieten und/oder zu liefern.

(mittelbare Verletzung von Anspruch 1 des EP 3 866 051 B1)

2.

Dritten im Hoheitsgebiet des Königreichs Belgien und/oder der Republik Bulgarien und/oder des Königreichs Dänemark und/oder der Bundesrepublik Deutschland und/oder der Republik Estland und/oder der Republik Finnland und/oder Französischen Republik und/oder der Italienischen Republik und/oder der Republik Lettland und/oder der Republik Litauen und/oder des Großherzogtums Luxemburg und/oder der Republik Malta und/oder der Niederlande und/oder der Republik Österreich und/oder der Portugiesischen Republik und/oder des Königreichs Schweden und/oder der Republik Slowenien

Mittel, namentlich Software, namentlich das SDK, die geeignet und bestimmt sind als Betriebssoftware oder zur Erstellung einer Betriebssoftware für Zeichenlesevorrichtungen, die zur Durchführung eines Zeichenleseverfahrens geeignet und bestimmt sind, wobei das Verfahren umfasst:

Bereitstellen einer Zeichenlesevorrichtung, umfassend: einen oder mehrere Prozessoren; einen Speicher; ein Bildgebungssubsystem, das konfiguriert ist, um ein Bild von dekodierbaren Zeichen zu erfassen; eine Anzeige und eine Kommunikationsschnittstelle; als Reaktion auf das Erfassen eines Bildes eines oder mehrerer Objekte innerhalb eines Sichtfeldes des Bildgebungssubsystems, Lokalisieren eines oder mehrerer dekodierbarer Zeichen innerhalb des Bildes und Dekodieren; Anzeigen des Bildes auf der Anzeige und visuelles Kennzeichnen des einen oder der mehreren erfolgreich dekodierten dekodierbaren Zeichen; Zuordnen jedes von einem oder mehreren erfolgreich dekodierten Zeichen zu einem Produktbild basierend auf einer aus einer Datenbank abgerufenen Nachschlageta-

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belle; Anzeigen des Produktbildes an einer Stelle einer zugeordneten Bilddarstellung jedes der einen oder mehreren dekodierten Zeichen, und als Reaktion auf das Annehmen einer Benutzereingabe, die mindestens ein dekodierbares Zeichen des angezeigten einen oder der mehreren dekodierbaren Zeichen auswählt, Ausgeben mindestens einer dekodierten Nachricht, die dem mindestens einen ausgewählten dekodierbaren Zeichen entspricht, und/oder mindestens eines Produktbildes, das dem mindestens einen ausgewählten dekodierbaren Zeichen zugeordnet ist, und/oder von Daten, die bestimmt werden, wenn das mindestens eine ausgewählte dekodierbare Zeichen dekodiert wird, zur Benutzung in einem oder mehreren dieser Staaten anzubieten und/oder zu liefern. (mittelbare Verletzung von Anspruch 10 des EP 3 866 051 B1)

II.

Für jede Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Anordnung hat die Antragsgegnerin an das Gericht ein (ggf. wiederholtes) Zwangsgeld in Höhe von bis zu 100.000,00 EUR für jeden Tag der Zuwiderhandlung zu zahlen.

III.

Im Übrigen wird der Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen zurückgewiesen.

IV.

Der Antrag beiden Parteien, der jeweils anderen Partei die Kosten aufzuerlegen bzw. zu einer Kostenerstattung zu verpflichten, wird zurückgewiesen.

V.

Diese Anordnung ist für die Antragstellerin erst vollstreckbar, wenn sie zugunsten der Antragsgegnerin eine Sicherheit in Form einer Hinterlegung in Höhe eines Betrages von 500.000,00 EUR geleistet hat.

INFORMATIONEN ÜBER DIE BERUFUNG

Beide Parteien können gegen diese Anordnung innerhalb von 15 Tagen nach ihrer Zustellung Berufung einlegen (Art. 73 (2) (a), 62 EPGÜ, R. 220.1 (c), 224.2 (b) VerfO).

INFORMATIONEN ÜBER DIE VOLLSTRECKUNG (ART. 82 EPGÜ, ART. ART. 37(2) EPGS, R. 118.8, 158.2, 354, 355.4 VERFO):

Eine beglaubigte Kopie der vollstreckbaren Entscheidung oder der vollstreckbaren Anordnung wird vom Hilfskanzler auf Antrag der vollstreckenden Partei ausgestellt, R. 69 RegR.

ANGABEN ZUR ANORDNUNG

Anordnung Nr.: ORD_46277/2024

VERFAHREN NUMMER: ACT_9216/2024

UPC Nummer: UPC_CFI_74/2024

Art des Antrags: Antrag auf einstweilige Maßnahmen (Regel 206 VO)

Erlassen in München am 27. August 2024

Dr. Zigann

Vorsitzender Richter und Berichterstatter

Kupecz

rechtlich qualifizierter Richter

Pichlmaier

rechtlich qualifizierter Richter

für den Hilfskanzler

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