Unified Patent Court

Lokalkammer Düsseldorf

Einheitliches Patentgericht

Juridiction unifiee du brevet

UPC_CFI_463/2023

Verfahrensanordnung

des Gerichts erster Instanz des Einheitlichen Patentgerichts

Lokalkammer Düsseldorf

erlassen am 23. Februar 2024

betreffend EP 2 697 391 B1

LEITSÄTZE:

  1. Gemäß R. 262A.4 VerfO ist der Vertreter der anderen Parteien vor dem Erlass einer Geheimnisschutzanordnung zu einer schriftlichen Stellungnahme aufzufordern. Im Interesse eines effektiven Geheimnisschutzes betrifft das Erfordernis der Anhörung vor Erlass indes nur die finale Geheimhaltungsanordnung und Zugangsbeschränkung. Im Interesse eines effektiven Geheimnisschutzes nach der Richtlinie (EU) 2016/943 kann dagegen bis zum Erlass einer endgültigen Anordnung der Zugang noch weiter eingegrenzt werden, namentlich auf die Person des Klägervertreters. Die Erörterung des Geheimhaltungsantrags mit der Partei ist mit den geschwärzten Versionen der betroffenen Dokumente möglich (Anschluss an UPC_CFI_22/2023 (Lokalkammer Hamburg), Anordnung v. 2. Dezember 2023).
  2. Um den Besonderheiten von Eilverfahren Rechnung zu tragen, muss der für ein faires Verfahren erforderliche Personenkreis (R. 262A.6 VerfO) dort so gewählt werden, dass die von der vorläufigen Geheimnisschutzanordnung betroffene Partei unter Berücksichtigung des Geheimhaltungsinteresses der Gegenseite vollumfänglich arbeitsfähig und in der Lage ist, in der Sache zu jedem durch die Gegenseite aufgeworfenen Punkt Stellung zu nehmen. Daher erscheint im Regelfall eine vorläufige Beschränkung auf vier rechtsanwaltliche Vertreter (zwei Partner und zwei Associates zu deren Unterstützung), zwei patentanwaltliche Vertreter sowie drei Vertreter der Mandantin angemessen (UPC_CFI_463/2023 (LK Düsseldorf), Anordnung v. 14. Februar 2024), wobei dieser Personenkreis bei Bedarf um zwei Rechtsanwaltsfachangestellte erweitert werden kann.
  3. Nachdem der Personenkreis, welchem Zugang zu den (vermeintlich) geheimhaltungsbedürftigen Informationen gewährt wird, gemäß R. 262.6 S. 1 VerfO den für die Einhaltung des Rechts der Verfahrensbeteiligten auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren notwendigen Umfang nicht überschreiten darf, ist der Kreis der zugangsberechtigten Personen unter Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen stets einer Einzelfallprüfung zu unterziehen und, falls notwendig und geboten, an die Anforderungen des jeweiligen Verfahrens anzupassen.

SCHLAGWÖRTER:

Geheimnisschutz; Geheimnisschutzantrag; Geschäftsgeheimnisse; 262A-Antrag; Anordnung im Vorfeld; rechtliches Gehör; Eilverfahren; vorläufige Geheimnisschutzanordnung

ANTRAGSSTELLERIN:

10x Genomics, Inc., 6230 Stoneridge Mall Road, 94588-3260 Pleasanton, CA, USA, gesetzlich vertreten durch das Board of Directors, dieses vertreten durch den CEO …, ebenda,

vertreten durch: Rechtsanwalt Prof. Dr. Tilman Müller-Stoy, Rechtsanwalt Dr. Martin Drews, Patentanwalt Dr. Axel Berger, Prinzregentenplatz 7, 81675 München,

elektronische Zustelladresse: …

ANTRAGSGEGNERIN:

Curio Bioscience Inc., 4030 Fabian Way, Palo Alto, CA 94303, USA, vertreten durch ihren CEO …, ebenda,

vertreten durch: Rechtsanwältin Agathe Michel-de Cazotte, Europäischer Patentanwalt Cameron Marschall, 1 Southampton Row WC1B 5HA London, United Kingdom,

elektronische Zustelladresse: …

VERFÜGUNGSPATENT:

EUROPÄISCHES PATENT NR. EP 2 697 391 B1

SPRUCHKÖRPER/KAMMER:

Spruchkörper der Lokalkammer Düsseldorf

MITWIRKENDE RICHTER:

Diese Anordnung wurde durch den Vorsitzenden Richter Thomas als Berichterstatter erlassen.

VERFAHRENSSPRACHE:

Deutsch

GEGENSTAND:

R. 262A VerfO – Schutz vertraulicher Informationen

KURZE DARSTELLUNG DES SACHVERHALTS:

Die Parteien stehen sich derzeit in einem Verfahren auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen gegenüber. Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2024 hat die Antragsgegnerin einen Antrag auf Schutz vertraulicher, in der Einspruchsschrift nebst Anlagen enthaltener Informationen gestellt.

Nach Auffassung der Antragsgegnerin ist der Zugang zu den durch sie als vertraulich eingestuften Informationen zu beschränken. Diese seien rein kommerzieller und nichttechnischer Natur, so dass Patentanwälte keinen Zugang zu diesen Informationen benötigten. Der Umfang der von der Antragsgegnerin als vertraulich eingestuften Informationen sei gering. Auch seien diese Informationen begrenzt, spezifisch, geschäftlich hochsensibel und so beschaffen, dass Mitarbeiter der Antragstellerin keinen Zugang benötigten. Falls ein Mitarbeiter der Antragstellerin Zugang erhalte, müsse dieser der Rechtsabteilung angehören und dürfe nicht an kommerziellen Entscheidungen beteiligt sein. Darüber hinaus müsse die Antragstellerin das Gericht davon überzeugen,

dass sie über Verfahren verfüge, die sicherstellen, dass der Zugang zu den von der Antragsgegnerin als vertraulich eingestuften Informationen auf die namentlich benannten Personen beschränkt sei. Um sicherzustellen, dass die betreffenden Informationen nicht außerhalb des vorliegenden Verfahrens verwendet werden, dürften die weiteren Rechtsvertreter, die zusätzlich zu den im bisherigen Verfahren benannten rechtsanwaltlichen Vertretern Zugang zu den betreffenden Informationen erhalten, nicht an anhängigen EPG-Verfahren beteiligt sein, die von der Antragstellerin auf demselben Gebiet geführt werden.

Mit einer Verfahrensanordnung vom 16. Februar 2024 hat die Lokalkammer Düsseldorf zunächst den bisher im Verfahren benannten Verfahrensbevollmächtigten Zugang zur ungeschwärzten Fassung der vorgelegten Dokumente gewährt und diese unter Androhung von Zwangsgeldern zur Geheimhaltung – auch gegenüber der Antragstellerin – verpflichtet. Zugleich hat die Lokalkammer den Parteien Gelegenheit dazu gegeben, ergänzend zu dem Personenkreis vorzutragen, dem bis zur endgültigen Entscheidung über den Geheimhaltungsantrag Zugang gewährt werden soll.

Unter Berücksichtigung dieser Stellungnahmen hat die Lokalkammer die nunmehr ergangene Verfahrensanordnung im Wege einer vorläufigen Verfahrensanordnung vom 20. Februar 2024 angekündigt und der Antragsgegnerin Gelegenheit gegeben, hierzu innerhalb kurzer Frist abschließend Stellung zu nehmen. Davon hat die Antragsgegnerin Gebrauch gemacht.

ANTRÄGE DER PARTEIEN:

Die Antragsgegnerin beantragt, gemäß Artikel 58 EPGÜ

  1. anzuordnen, dass der Zugang zu dem in roter Schriftfarbe gehaltenen Text in der vertraulichen Einspruchsschrift gegen den Antrag auf vorläufige Maßnahmen und in der vertraulichen eidesstattlichen Erklärung von Herrn … (siehe vertrauliche Anlage CR-3) auf insgesamt höchstens vier namentlich bekannte Rechtsvertreter von 10x persönlich beschränkt wird, die sich verpflichten, 5 Jahre lang an keinen Lizenzverhandlungen im Bereich der räumlichen Transkriptomatik teilzunehmen; oder
  2. hilfsweise anzuordnen, dass der Zugang zu dem in roter Schriftfarbe gehaltenen Text in der vertraulichen Einspruchsschrift gegen den Antrag auf vorläufige Maßnahmen und in der vertraulichen eidesstattlichen Erklärung von Herrn … (siehe vertrauliche Anlage CR-3) beschränkt ist auf:
  3. insgesamt höchstens vier namentlich genannte Rechtsvertreter von 10x persönlich; und
  4. einen namentlich genannten Mitarbeiter von 10x aus der Rechtsabteilung, der ebenfalls an keinen geschäftlichen Entscheidungen beteiligt ist; und
  5. in beiden vorgenannten Fällen auf Personen, die sich verpflichten, 5 Jahre lang an keinen Lizenzvertragsverhandlungen in der Branche der räumlichen Transkriptomatik teilzunehmen.

Die Antragstellerin beantragt,

  1. bis zum Erlass einer endgültigen Entscheidung über den Antrag zum Schutz vertraulicher Informationen vorläufigen Zugang zu den von der Antragsgegnerin noch zu bezeichnenden vermeintlichen vertraulichen Informationen für die Rechtsanwälte der BARDEHLE PAGENBERG Partnerschaft mbB sowie für zwei zuverlässige Personen

bei der Antragstellerin, namentlich Herrn …, Chief Legal Officer der Antragstellerin und Herrn …, Vice President Intellectual Property der Antragstellerin, anzuordnen.

2.

bis zum Erlass einer endgültigen Entscheidung über den Antrag zum Schutz vertraulicher Informationen der Antragsgegnerin vorläufigen Zugang zu den von der Antragsgegnerin noch zu bezeichnenden vermeintlichen vertraulichen Informationen den mit dem Verfahren betrauten Rechtsanwälten der BARDEHLE PAGENBERG Partnerschaft mbB, namentlich

  • RA und Vertreter vor dem EPG …,
  • RA und Vertreter vor dem EPG …,
  • RA und Vertreter vor dem EPG …,
  • RAin und Vertreterin vor dem EPG …,
  • RAin und Vertreterin vor dem EPG …,
  • Rechtsanwaltsfachangestellte …,
  • Rechtsanwaltsfachangestellte …

sowie zwei zuverlässigen Personen bei der Antragstellerin, namentlich

  • Herrn …, Chief Legal Officer der Antragstellerin,
  • Herrn …, Vice President Intellectual Property der Antragstellerin,

anzuordnen.

GRÜNDE DER ANORDNUNG:

Nach Art. 9 Abs. 1 und 2 lit. a) der Richtlinie (EU) 2016/943 ist vorgesehen, dass in einem gerichtlichen Verfahren auf Antrag der Zugang zu von den Parteien oder Dritten vorgelegten Dokumenten, die Geschäftsgeheimnisse oder angebliche Geschäftsgeheimnisse enthalten, ganz oder teilweise auf eine begrenzte Anzahl von Personen beschränkt werden kann. Der Schutz vertraulicher Informationen ist im EPGÜ in Artikel 58 vorgesehen und in der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts in Regel 262A implementiert.

Gemäß R. 262A.4 VerfO ist vor dem Erlass einer Anordnung der Vertreter der anderen Parteien zu einer schriftlichen Stellungnahme aufzufordern. Im Interesse eines effektiven Geheimnisschutzes betrifft das Erfordernis der Anhörung vor Erlass indes nur die finale Geheimhaltungsanordnung und Zugangsbeschränkung. Im Interesse eines effektiven Geheimnisschutzes nach der Richtlinie (EU) 2016/943 kann dagegen bis zum Erlass einer endgültigen Anordnung der Zugang noch weiter eingegrenzt werden, namentlich auf die Person des Klägervertreters. Die Erörterung des Geheimhaltungsantrags mit der Partei ist mit den geschwärzten Versionen der betroffenen Dokumente möglich (UPC_CFI_22/2023 (Lokalkammer Hamburg), Anordnung v. 2. Dezember 2023).

Auch wenn diese Überlegungen im Grundsatz auch in Verfahren auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen gelten, dürfen die Besonderheiten derartiger Verfahren nicht unberücksichtigt

bleiben. Wie auch im Hauptsacheverfahren werden die für die Parteien bestehenden Stellungnah-

mefristen durch einen Geheimnisschutzantrag nicht berührt. Jedoch scheiden Fristverlängerungen

aufgrund des Eilcharakters derartiger Verfahren im Regelfall aus. Zudem steht der Termin zur

mündlichen Verhandlung häufig kurzfristig an. Vor diesem Hintergrund ist die von einer vorläufi-

gen Geheimnisschutzanordnung betroffene Partei gezwungen, trotz der mit einer solchen Anord-

nung naturgemäß verbundenen Einschränkungen ihre Einlassungen in der Sache vorzubereiten

und ggf. auf den (vermeintlich) geheimhaltungsbedürftige Informationen enthaltenden Schriftsatz

zu erwidern. Da Stellungnahmen in derartigen Verfahren in der Regel innerhalb kurzer Fristen im

Rahmen eines strengen Fristenregimes einzureichen sind und auch die mündliche Verhandlung

kurzfristig vorzubereiten ist, muss der für ein faires Verfahren erforderliche Personenkreis

(R. 262A.6 VerfO) so gewählt werden, dass die von der vorläufigen Geheimnisschutzanordnung

betroffene Partei unter Berücksichtigung des Geheimhaltungsinteresses der Gegenseite

vollumfänglich arbeitsfähig und in der Lage ist, in der Sache zu jedem durch die Gegenseite

aufgeworfenen Punkt Stellung zu nehmen. Um den Besonderheiten des Eilverfahrens Rechnung

zu tragen, erscheint daher im Regelfall eine vorläufige Beschränkung auf vier rechtsanwaltliche

Vertreter (zwei Partner und zwei Associates zu deren Unterstützung), zwei patentanwaltliche

Vertreter sowie drei Vertreter der Mandantin angemessen (UPC_CFI_463/2023 (LK Düsseldorf),

Anordnung v. 14. Februar 2024), wobei dieser Personenkreis bei Bedarf um zwei

Rechtsanwaltsfachangestellte erweitert werden kann.

Nachdem der Personenkreis, welchem Zugang zu den (vermeintlich) geheimhaltungsbedürftigen

Informationen gewährt wird, gemäß R. 262.6 S. 1 VerfO den für die Einhaltung des Rechts der

Verfahrensbeteiligten auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren notwendigen

Umfang nicht überschreiten darf, ist der Kreis der zugangsberechtigten Personen unter

Berücksichtigung der vorstehenden Erwägungen stets einer Einzelfallprüfung zu unterziehen und,

falls notwendig und geboten, an die Anforderungen des jeweiligen Verfahrens anzupassen.

Auf den vorliegenden Fall gewendet bedeutet dies, dass Patentanwälte keinen Zugang zur

ungeschwärzten Version der Einspruchsschrift nebst Anlagen benötigen. Sämtliche von der

Antragstellerin als geheimhaltungsbedürftig eingestuften Informationen sind kommerzieller und

nichttechnischer Natur. Gegen das Begehren der Antragstellerin, auf Rechtsanwaltsseite den

Zugang auf drei Partner und zum Ausgleich lediglich auf einen Associate zu erstrecken, bestehen

keine Bedenken. Darüber hinaus erscheint es unter Berücksichtigung des Vorbringens beider

Parteien angemessen und geboten, die Zahl der zugangsberechtigten Mitarbeiter bis zur

endgültigen Entscheidung über den Geheimnisschutzantrag auf die sowohl in der Richtlinie (EU)

2016/943 als auch in R. 262A.6 VerfO vorgesehene Mindestzahl und damit auf eine natürliche

Person zu beschränken. Die Lokalkammer hat sich dazu entschieden, der Person Zugang zu

gewähren, die nach Auskunft der Antragstellerin ihre patentrechtlichen Streitigkeiten maßgeblich

koordiniert, in die Abstimmung der Schriftsätze des vorliegenden Verfahrens sowie die rechtliche

wie geschäftliche Strategie maßgeblich involviert ist und bei welcher es sich um die zentrale

interne Person in der täglichen Bearbeitung der Prozessführung der Antragstellerin handelt. Allein

die abstrakte Möglichkeit, dass diese Person möglicherweise an kommerziellen Entscheidungen

der Antragstellerin beteiligt ist, rechtfertigt es nicht, ihr den Zugang zu den in Rede stehenden

Informationen zu verwehren. Dem Geheimhaltungsinteresse der Antragsgegnerin trägt die

mit der Androhung von Zwangsgeldern verbundene Geheimhaltungsanordnung hinreichend Rechnung.

Aus diesem Grund sieht die Lokalkammer auch keine Veranlassung, von der Antragstellerin den

Nachweis eines von ihr implementierten internen Geheimnisschutzregimes zu fordern. Die von der

Antragsgegnerin geforderte Verpflichtung des betreffenden Mitarbeiters, fünf Jahre lang an

keinen Lizenzverhandlungen in der Branche der räumlichen Transkriptomatik teilzunehmen, greift

unverhältnismäßig in dessen Recht auf Berufsausübung ein und kommt daher nicht in Betracht.

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Soweit die Antragsgegnerin sämtlichen Mitarbeitern der Antragstellerin den Zugang zu den (vermeintlich) geheimhaltungsbedürftigen Informationen verwehren will, lässt sich dieses Begehren weder mit Art. 9 der Richtlinie (EU) 2016/943 noch mit R. 262A.6 VerfO in Einklang bringen. Auch wenn die Anzahl der zugangsberechtigten Personen auf das notwendige Maß beschränkt werden soll, bringen beide Normen klar zum Ausdruck, dass der Kreis zugangsberechtigter Personen mindestens eine natürliche Person jeder Partei umfassen muss. Damit soll dem Anspruch auf rechtliches Gehör Rechnung getragen werden (vgl. Münchner Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 3. Aufl. 2020, Geheimnisschutz-RL Art. 9, Rz. 18). Dass Art. 58 EPGÜ eine solche Mindestzahl natürlicher Personen nicht kennt, vermag an diesem Befund nichts zu ändern. Wie jedes nationale Gericht hat das Einheitliche Patentgericht den unbedingten Vorrang des Unionsrechts zu beachten (Art. 20 EPGÜ). Daher sind die Normen des EPGÜ richtlinienkonform auszulegen (Kircher in Bopp/Kircher, Handbuch Europäischer Patentprozess, 2. Auflage, § 1 Rz. 23). Im Rahmen der Auslegung von Art. 58 EPGÜ hat deshalb Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2016/943 Berücksichtigung zu finden. Auch danach muss der Kreis zugangsberechtigter Personen mindestens eine natürliche Person jeder Partei umfassen. Sieht Art. 58 EPGÜ daher die Möglichkeit der Beschränkung des Zugangs zu Beweismitteln auf bestimmte Personen vor, ist dies richtlinienkonform im Sinne der Notwendigkeit der Gewährung des Zugangs für mindestens eine natürliche Person jeder Partei auszulegen. Im Einklang damit ist auch in dem Art. 58 EPGÜ konkretisierenden R. 262A.6 VerfO eine solche Mindestzahl vorgesehen.

Die von der Antragsgegnerin weiterhin geforderte Beschränkung der Rechtsvertreter der Antragstellerin auf solche, die nicht an anhängigen und dasselbe Rechtsgebiet betreffenden Verfahren vor dem Einheitlichen Patentgericht beteiligt sind, schränkt die Antragstellerin unangemessen in der Wahl ihrer Rechtsvertreter ein. Hinzu kommt, dass auch die anwaltlichen Vertreter der Antragstellerin durch eine solche Anordnung massiv in der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit behindert würden, ohne dass dies durch überwiegende Interessen auf Antragsgegnerseite gerechtfertigt wäre. Die Antragsgegnerin ist durch die in der Anordnung enthaltene und mit der Androhung von Zwangsmitteln unterlegte Verschwiegenheitsanordnung hinreichend geschützt.

ANORDNUNG:

  1. Der Zugang zur ungeschwärzten Fassung des Einspruchsschriftsatzes vom 15. Februar 2024 sowie zur ungeschwärzten Fassung der Anlage CR-3 wird bis zu einer abschließenden Entscheidung über den auf den Schutz vertraulicher Informationen gerichteten Antrag der Antragsgegnerin auf Seiten der Antragstellerin auf folgende Personen beschränkt:
  • Rechtsanwalt und Vertreter vor dem EPG …;
  • Rechtsanwalt und Vertreter vor dem EPG …;
  • Rechtsanwalt und Vertreter vor dem EPG …;
  • Rechtanwältin und Vertreterin vor dem EPG …;
  • Rechtsanwaltsfachangestellte …;
  • Rechtsanwaltsfachangestellte …;
  • Herr …, Vice President Intellectual Property der Antragstellerin.

Bis zu einer abschließenden Entscheidung über den Geheimnisschutzantrag der Antragsgegnerin sind die vorgenannten Personen auch gegenüber der Antragstellerin zur Geheimhaltung der in den ungeschwärzten Fassungen der vorgenannten Unterlagen enthaltenen Informationen verpflichtet.

2.

Die von der Antragsgegnerin als vertraulich bezeichneten Informationen sind von den unter Ziffer 1. namentlich genannten Personen bis auf weiteres als geheimhaltungsbedürftig zu behandeln. Sie dürfen nicht außerhalb dieses Gerichtsverfahrens verwendet oder offengelegt werden, es sei denn, sie sind der empfangenden Partei außerhalb dieses Verfahrens zur Kenntnis gelangt. Diese Ausnahme greift allerdings nur dann, wenn diese Informationen von der empfangenden Partei auf nicht vertraulicher Basis aus anderer Quelle als von der Antragsgegnerin oder den mit ihr verbundenen Unternehmen erlangt wurden, vorausgesetzt, diese Quelle ist ihrerseits nicht durch eine Vertraulichkeitsvereinbarung mit der Antragsgegnerin oder den mit ihr verbundenen Unternehmen oder durch eine sonstige Geheimhaltungspflicht gegenüber dieser gebunden.

3.

Der Antragstellerin wird aufgegeben, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass die von Herrn … erlangten, dieser Vertraulichkeitsanordnung unterliegenden Informationen vertraulich bleiben und nicht außerhalb dieses Verfahrens verwendet werden. Insbesondere hat die Antragstellerin sicherzustellen, dass die der Geheimhaltungspflicht unterliegenden Informationen bei der Antragstellerin ausschließlich in gesicherten elektronischen Dateien enthalten sind, auf die nur Herr … Zugriff hat. Soweit die der Geheimhaltungspflicht unterliegenden Informationen in den Geschäftsräumen der Antragsgegnerin durch Herrn … gedruckt werden, ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ausschließlich Herr … auf diese Ausdrucke Zugriff hat.

4.

Bei schuldhafter Zuwiderhandlung gegen diese Anordnung kann das Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessendes Zwangsgeld verhängen.

5.

Die Sub-Registry der Lokalkammer Düsseldorf wird angewiesen, den unter Ziffer 1. genannten und der Geheimhaltungspflicht unterliegenden Vertretern der Antragstellerin die ungeschwärzte Fassung der durch die Antragsgegnerin als geheimhaltungsbedürftig bezeichneten Dokumente im Case Management System (CMS) freizugeben.

6.

Die Antragstellerin erhält Gelegenheit, zum Geheimhaltungsantrag der Antragsgegnerin bis zum 1. März 2024 Stellung zu nehmen. Im Anschluss wird die Antragsgegnerin Gelegenheit erhalten, auf die Stellungnahme der Antragstellerin zu erwidern.

DETAILS DER ANORDNUNG:

App_8500/2024 zum Hauptaktenzeichen ACT_590953/2023

UPC-Nummer: UPC_CFI_463/2023

Verfahrensart: Antrag auf Anordnung einstweiliger Maßnahmen

Erlassen in Düsseldorf am 23. Februar 2024

NAMEN UND UNTERSCHRIFTEN

Vorsitzender Richter Thomas

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