Unified Patent Court
Aktenzeichen: UPC_CoA_486/2023
Einheitliches Patentgericht
APL_595643/2023
ANORDNUNG
des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts erlassen am 21. März 2024
betreffend eine nach Ermessensüberprüfung zugelassene Berufung
LEITSATZ :
- Soweit nichts anderes bestimmt ist, kann eine verfahrensleitende Entscheidung oder Anordnung des Berichterstatters oder des Vorsitzenden Richters nicht unmittelbar mit der Berufung angefochten werden. Der zulässige Rechtsbehelf gegen solche Entscheidungen und Anordnungen ist ein Antrag auf Überprüfung durch den Spruchkörper gemäß R.333.1 VerfO. Über die Zulässigkeit eines solchen Antrags entscheidet der Spruchkörper. Gegen die aufgrund dieses Antrags ergangenen Anordnungen ist, wenn die Voraussetzungen von R.220.2 und R.220.3 VerfO vorliegen, die Berufung statthaft.
- Die Entscheidung des Berichterstatters, den Einspruch im Hauptverfahren zu behandeln, ist eine verfahrensleitende Entscheidung, die auf Antrag des Beklagten gemäß R.333.1 VerfO von dem Spruchkörper zu überprüfen ist.
- Die Stattgabe und die Zurückweisung eines Einspruchs können nach R.333.1 VerfO überprüft werden, wenn es sich um verfahrensleitende Entscheidungen oder Anordnungen handelt.
- Wird ein Einspruch zurückgewiesen, ist der Berichterstatter abweichend von dem allgemeinen Grundsatz befugt, die Berufung zuzulassen, und seine Anordnung kann mit der Berufung angefochten werden, ohne dass eine vorherige Überprüfung durch den Spruchkörper nach R.333.1 VerfO notwendig ist. Wird die Berufung zugelassen, hat die unterlegene Partei die Wahl, entweder Berufung einzulegen oder einen Antrag auf Überprüfung nach R.333.1 VerfO zu stellen. Hat der Berichterstatter die Berufung nicht zugelassen, kann die Partei eine Überprüfung durch den Spruchkörper beantragen. Gegen die darauf ergangene Entscheidung des Spruchkörpers kann dann entweder Berufung eingelegt werden, wenn der Spruchkörper diese gemäß R.220.2 VerfO zugelassen hat, andernfalls kann sie zum Gegenstand eines Antrags auf Ermessensüberprüfung gemäß R.220.3 VerfO gemacht werden.
SCHLAGWÖRTER :
- Darlegung der Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß R.220.3 VerfO
- Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen des Berichterstatters über den Einspruch
BERUFUNGSKLÄGER /BEKLAGTE IM HAUPTVERFAHREN VOR DEM GERICHT ERSTER INSTANZ:
Netgear Inc.
Netgear Deutschland GmbH
Netgear International Limited
vertreten durch: Rechtsanwalt Dr. Stephan Dorn, Rechtsanwalt Dr. Frank-Erich Hufnagel
Freshfields Bruckhaus Deringer Rechtsanwälte, Düsseldorf
BERUFUNGSBEKLAGTE /KLÄGERIN IM HAUPTVERFAHREN VOR DEM GERICHT ERSTER INSTANZ
Huawei Technologies Co. Ltd
vertreten durch: Rechtsanwalt Dr. Tobias J. Hessel, Rechtsanwältin Lea Prehn, Rechtsanwalt Thomas Misgaiski, Clifford Chance, Düsseldorf
VERFAHRENSSPRACHE :
Deutsch
SPRUCHKÖRPER UND ENTSCHEIDENDE RICHTER:
Diese Anordnung wurde erlassen von dem zweiten Spruchkörper des Berufungsgerichts unter Mitwirkung von:
Rian Kalden, Vorsitzende Richterin
Ingeborg Simonsson, rechtlich qualifizierte Richterin
Patricia Rombach, rechtlich qualifizierte Richterin und Berichterstatterin
BEANSTANDETE ANORDNUNG DES GERICHTS ERSTER INSTANZ :
□Datum: 11. Dezember 2023
□Aktenzeichen des Gerichts erster Instanz: ORD_588901/2023 in ACT_459771/2023,
UPC_CFI_9/2023 (Hauptverfahren), App_586381/2023 UPC_CFI_9/2023 (verbundenes Verfahren),
siehe auch App_570172/2023 UPC_CFI_9/2023
MÜNDLICHE VERHANDLUNG AM:
- Februar 2024
ERLASSEN AM:
21.03.2024
STREITPATENT :
EP 3 611 989
ATBESTAND UND VERFAHRENSRECHTLICHER HINTERGRUND
-
Mit ihrer Klage nimmt die Klägerin (im Folgenden: Berufungsbeklagte) die Beklagten (im Folgenden: Berufungskläger) im Hauptsacheverfahren wegen angeblicher Verletzung des europäischen Patents 3 611 989 in Anspruch. Die Berufungskläger haben Einspruch nach R.19 VerfO erhoben (App_570172/2023). Mit Anordnung vom 30. Oktober 2023 unterrichtete der Berichterstatter der Lokalkammer München (im Folgenden: Berichterstatter) die Parteien gemäß R.20.2 VerfO darüber, dass dieser Einspruch im Hauptverfahren zu behandeln sei (im Folgenden auch: “die R.20.2-Unterrichtung”).
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Am 14. November 2023 beantragten die Berufungskläger gemäß R.333.1 VerfO die Überprüfung der “R.20.2-Unterrichtung” durch den Spruchkörper. Der Berichterstatter wies diesen Antrag mit Anordnung vom 11. Dezember 2023 als unstatthaft zurück.
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Der Berichterstatter hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass es sich bei der “R.20.2-Unterrichtung” weder um eine Entscheidung noch eine Anordnung im Sinne von R.333.1 VerfO handele. Dies folge nach seiner Auffassung aus R.21.1 VerfO. Gemäß R.21.1 VerfO könne gegen eine „Entscheidung“ über die Stattgabe des Einspruchs gemäß R.220.1(a) VerfO Berufung eingelegt werden. Gegen eine Entscheidung (in der englischen und französischen Sprachfassung: „order“ or „ordonnance“) des Berichterstatters, den Einspruch zurückzuweisen, könne nur gemäß R.220.2 VerfO Berufung eingelegt werden. Daher sei ein Antrag auf Überprüfung der “R.20.2-Unterrichtung” durch den Spruchkörper gemäß R.333.1 VerfO nicht statthaft. Die Berufung gegen die “R.20.2-Unterrichtung” sei ebenso wenig statthaft.
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Die Berufungskläger haben beim Berufungsgericht einen Antrag auf Ermessensüberprüfung mit folgendem Inhalt gestellt:
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die Entscheidung des Berichterstatters, die Berufung gegen die Anordnung des Berichterstatters vom 11. Dezember 2023 nicht zuzulassen, zu überprüfen (R.220.3 VerfO).
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die Berufung zuzulassen (R.220.4 VerfO),
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die prozessuale Anordnung des Berichterstatters vom 30. Oktober 2023 (ORD_575956/2023), wonach der Einspruch der Beklagten (App_570172/2023) im Hauptsacheverfahren zu behandeln ist, zu überprüfen und anzuordnen, dass über den Einspruch der Beklagten gemäß R.19 VerfO gemäß R.21.1 VerfO unverzüglich zu entscheiden ist, und
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über den Einspruch unmittelbar zu entscheiden und dem Einspruch stattzugeben.
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Die ständige Richterin des Berufungsgerichts hat mit Anordnung vom 11. Januar 2024 (UPC_CoA_486/2023, APP_595643/2023) den Antrag auf Ermessensüberprüfung für zulässig erklärt, obwohl sich der Antrag gegen eine Anordnung des Berichterstatters und nicht gegen eine Entscheidung des Spruchkörpers richtete. Die ständige Richterin hat ausgeführt: “Der Umstand, dass der Berichterstatter selbst über die Zulässigkeit des Antrags auf Überprüfung seiner Entscheidung vom 30. Oktober 2023 (“R.20.2-Unterrichtung”) durch den Spruchkörper gemäß R.333.1 VerfO entschieden hat, anstatt den Spruchkörper über die Zulässigkeit des Antrags entscheiden zu lassen, verhindert, dass ein Antrag auf Ermessensüberprüfung gemäß R.220.3 VerfO gestellt werden kann, da es keine
Anordnung des Spruchkörpers gibt. Dies wäre jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn die der Anordnung vom 11. Dezember 2023 zugrundeliegende Auffassung des Berichterstatters, er sei zuständig, um über die Zulässigkeit des Überprüfungsantrags nach R.333.1 VerfO zu entscheiden und der Überprüfungsantrag sei unzulässig, tatsächlich zuträfe.
Unter diesen Umständen hielt es die ständige Richterin für gerechtfertigt, dem Antrag auf Ermessensüberprüfung stattzugeben.
6.
Die ständige Richterin hat die Berufung lediglich gegen die Anordnung vom 11. Dezember 2023 zugelassen. Die ständige Richterin stellte klar, dass sich die Zulassung nicht auf die “R.20.2-Unterrichtung” erstreckt und dass - falls die Berufung gegen die Anordnung vom 11. Dezember 2023 Erfolg haben sollte - “die R.20.2-Unterrichtung” zunächst vom Spruchkörper des Gerichts erster Instanz gemäß R.333.1 VerfO überprüft werden sollte.
V ORBRINGEN DER P ARTEIEN
7.
Die Berufungskläger tragen vor:
8.
Die Berufung gegen die Anordnung vom 11. Dezember 2023 sei begründet. Nach dem eindeutigen Wortlaut von R.333.4 VerfO entscheide der Spruchkörper und nicht der Berichterstatter über einen Antrag auf Überprüfung nach R.333.1 VerfO.
9.
Die “R.20.2-Unterrichtung” sei eine verfahrensleitende Anordnung, die durch den Spruchkörper gemäß R.333.1 VerfO überprüft werden müsse, bevor eine Berufung nach R.220.2 und R.220.3 VerfO statthaft sei. Dieses Procedere solle dem Spruchkörper die Gelegenheit geben, dem Einspruch selbst abzuhelfen, und dadurch werde eine überflüssige Berufung vermieden.
10.
Der Befassung des Spruchkörpers könnten keine Effizienzerwägungen entgegengehalten werden. Während der gesamte Spruchkörper sich aufgrund der “R.20.2-Unterrichtung” mit dem Einspruch befassen müsse, könne gegen die Entscheidung des Berichterstatters gemäß R.20.1 VerfO ohne Befassung des Spruchkörpers unmittelbar Berufung eingelegt werden. Damit führe gerade die Entscheidung, des Berichterstatters nach R.20.2 VerfO vorzugehen, zu einer weiteren Belastung des Spruchkörpers.
11.
Die Berufungsbeklagte trägt vor:
12.
Die Parteien hätten keinen Anspruch darauf, dass eine Entscheidung über den Einspruch vor dem Hauptverfahren gemäß R.20.1 VerfO ergehe. Es liege im alleinigen Ermessen des Berichterstatters, ob er über den Einspruch unmittelbar selbst entscheide oder ob darüber im Hauptverfahren durch den Spruchkörper zu entscheiden sei.
13.
Die „R.20.2-Unterrichtung“ sei keine Entscheidung. Nur die Ablehnung des Antrags gemäß R.333.1 VerfO sei eine Entscheidung, die gemäß R.333.1 VerfO überprüft werden kann.
14.
Wenn die Voraussetzungen, die R.350 VerfO an eine Entscheidung oder R.351 VerfO an eine Anordnung stelle, nicht erfüllt seien und die Verfahrensordnung nicht an anderer
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE :
I. Gegenstand der Berufung
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Die Bestimmung des Gegenstands der Berufung erfordert eine Betrachtung der Systematik der Ermessensprüfung nach R.220.3 und R.220.4 VerfO durch das Berufungsgericht.
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Hat das Gericht erster Instanz gemäß R. 220.2 VerfO die Berufung nicht zugelassen, so kann gemäß R. 220.3 VerfO beantragt werden, dass diese Entscheidung (d.h. die Ablehnung der Zulassung der Berufung) vom Berufungsgericht überprüft wird. Gemäß R.220.4 VerfO wird dieser Antrag dem ständigen Richter zugewiesen. Wenn und soweit dem Antrag stattgegeben wird - mit anderen Worten: im Umfang der Zulassung der Berufung - wird über die Berufung von dem Spruchkörper entschieden, dem die Berufung vom Präsidenten des Berufungsgerichts zugewiesen wird. Der ständige Richter, wenn er dem Antrag stattgibt, oder der ganze Spruchkörper, sobald ihm die Berufung zugewiesen wurde, kann es für erforderlich halten, dass die Parteien zusätzlich zu den bereits im Antrag auf Ermessensüberprüfung und der Erwiderung hierauf gemachten Vorbringen eine weitere Berufungsbegründung und -erwiderung einreichen; dies wird jedoch nicht immer erforderlich sein. In einem Antrag auf Ermessensüberprüfung müssen bereits die Gründe für die Durchführung der Berufung sowie die der Berufung zugrunde gelegten Tatsachen, Beweismittel und rechtlichen Ausführungen dargelegt werden (vgl. R. 220.3 in Verbindung mit R. 221.2 VerfO).
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Wie ausgeführt, hat der ständige Richter die Berufung nur gegen die Entscheidung vom 11. Dezember 2023 zugelassen. Von den Anträgen, die die Rechtsmittelführer in ihrem Antrag auf Ermessensüberprüfung stellen, bezieht sich nur der erste auf die Berufungszulassung. In den Anträgen zu 2, 3 und 4 wird der Umfang der beantragten Zulassung umschrieben, mit anderen Worten die Entscheidungen, für die der Rechtsmittelführer die Zulassung der Berufung beantragt. Der Antrag zu 2, der nur darauf gerichtet ist “die Berufung zuzulassen”, ist nach dem Vorbringen der Berufungskläger als Antrag auf Aufhebung des Beschlusses vom 11. Dezember 2023 zu verstehen. Der ständige Richter hat ihn tatsächlich in diesem Sinne verstanden und die Berufung gegen diese Entscheidung zugelassen. Für die Anträge zu 3 und 4 - die Aufhebung der “R.20.2-Unterrichtung” und die Entscheidung über den Einspruch - wurde die Berufung nicht zugelassen. Daher sind diese Anträge nicht Gegenstand der vorliegenden Berufung und stehen in diesem Verfahren nicht zur Überprüfung.
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Weder die ständige Richterin noch der Spruchkörper haben es für erforderlich angesehen, zusätzliche Erklärungen der Parteien anzufordern, da ihr Vorbringen in dem Antrag nach R.220.3 VerfO und der schriftlichen Erwiderung darauf ausreichend dargelegt wurden.
II. Zulässigkeit der Berufung
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Die Berufung ist zulässig.
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Mit Beschluss vom 11. Januar 2024 hat die ständige Richterin die Berufung zu Recht zugelassen.
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Allerdings sieht R.220.3 VerfO die Zulassung der Berufung durch den ständigen Richter nur im Falle einer Anordnung eines Spruchkörpers vor und bei der hier beanstandeten Entscheidung handelt es sich um eine Entscheidung des Berichterstatters. Wie die ständige Richterin bereits in der Anordnung vom 11. Januar 2024 ausgeführt hat, kann eine verfahrensleitende Entscheidung oder Anordnung des Berichterstatters oder des Vorsitzenden Richters grundsätzlich nur dann mit der Berufung angefochten werden, wenn diese Entscheidung oder Anordnung zuvor vom Spruchkörper gemäß R.333.1 VerfO überprüft worden ist, soweit nichts anderes bestimmt ist. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass ein Antrag auf Ermessensüberprüfung beim Berufungsgericht nach R.220.3 VerfO nur dann möglich ist, wenn die Zulassung der Berufung gegen eine Anordnung eines Spruchkörpers abgelehnt wird. Daher muss im Falle einer Entscheidung oder Anordnung des Berichterstatters oder des Vorsitzenden Richters zunächst ein Antrag nach R.333.1 VerfO gestellt werden, um eine Entscheidung des Spruchkörpers herbeizuführen, die - gegebenenfalls – im Falle der Zulassung der Berufung durch den Spruchkörper Gegenstand einer Berufung nach R.220.2 VerfO sein kann oder im Falle der unterbliebenen Zulassung Gegenstand eines Antrags auf Ermessensüberprüfung nach R.220.3 VerfO.1
-
Da Gegenstand der Berufung jedoch gerade die Frage ist, ob der Berichterstatter über die Zulässigkeit des Überprüfungsantrags der Berufungskläger nach R.333.1 VerfO entscheiden durfte oder ob der Spruchkörper hätte entscheiden müssen, womit eine Entscheidung des Spruchkörpers nach R.333.5 VerfO hätte ergehen müssen, hat die ständige Richterin zu Recht angenommen, dass dies nicht zur Unzulässigkeit des Antrags nach R.220.3 VerfO führen kann.2
III. Begründetheit
- Die Berufung ist begründet. Der Berichterstatter hätte nicht über den Überprüfungsantrag nach R. 333.1 VerfO entscheiden dürfen. Da der Überprüfungsantrag zulässig war, hätte der Spruchkörper in der Sache nach R. 333.1 VerfO entscheiden müssen. Dies führt zu einer Zurückverweisung der Sache.
(1) Zuständigkeit
- Der Berichterstatter hätte nicht alleine über den Antrag auf Überprüfung nach R.333.1 VerfO entscheiden dürfen.
1 Siehe Erläuterung 17 th Entwurf der Verfahrungsordnung.
2 Siehe Urteil des EuGH vom 14. Juli 2022, Universität Bremen gegen REA, C-110/21, ECLI:EU:C:2022:555, Rn. 24.
25.
Wie sich aus Artikel 52(2) EPGÜ ergibt, wird die Fallbearbeitung während des schriftlichen Verfahren und des Zwischenverfahrens vom Spruchkörper dem Berichterstatter übertragen. Dementsprechend sieht R.331.1 VerfO vor, dass die Verfahrensleitung nach Maßgabe der R.102 und R.333 VerfO dem Berichterstatter obliegt.
26.
Dementsprechend kann der Berichterstatter nach R.102.1 Satz 1 VerfO “jede Angelegenheit” (zurück) zur Entscheidung an den Spruchkörper verweisen; nach R. 102.1 Satz 2 VerfO kann der Spruchkörper “jede Entscheidung oder Anordnung” oder “die Führung des Zwischenverfahrens” von Amts wegen prüfen. Nach R.102.2 VerfO kann jede Partei beantragen, dass “eine Entscheidung oder Anordnung” des Berichterstatters gemäß R. 333 VerfO dem Spruchkörper zur Überprüfung vorgelegt wird.
27.
Gemäß R.333.1 VerfO werden verfahrensleitende Entscheidungen oder Anordnungen des Berichterstatters oder des Vorsitzenden Richters auf begründeten Antrag einer Partei vom Spruchkörper überprüft.
28.
Dieses in der Verfahrensordnung vorgesehene System vermeidet unnötige Berufungen und die Befassung des Berufungsgerichts in dem Fall, dass der Spruchkörper der Auffassung des Berichterstatters nicht folgt.
29.
R.333.4 VerfO sieht ausdrücklich vor, dass der Spruchkörper über den Antrag auf Überprüfung entscheidet. Es handelt sich damit um eine „Handlung“, die nach R.1.2 VerfO ausschließlich dem Spruchkörper vorbehalten ist. Mangels einer ausdrücklichen Bestimmung über die Befugnis, sich mit der Zulässigkeit eines Antrags nach R.333 VerfO zu befassen (wie zum Beispiel R.233.2 Satz 2 VerfO, Befugnis des Berichterstatters die Berufung als unzulässig zurückzuweisen), ist auch diese Entscheidung ausschließlich dem Spruchkörper vorbehalten.
30.
Auch der Systematik der Verfahrensordnung lässt sich entnehmen, dass für die Entscheidung über die Zulässigkeit eines Überprüfungsantrags nach R.333.1 VerfO nicht der Berichterstatter, sondern der Spruchkörper zuständig ist. Wäre dies nicht der Fall, so würde dies zu zufälligen Ergebnissen führen. Denn wenn der Berichterstatter einen solchen Antrag für unzulässig hält und die Berufung nicht zulässt, kann die Entscheidung nicht angefochten werden (da ein Antrag auf Ermessensüberprüfung nach R.220.3 VerfO nur bei einer Anordnung des Spruchkörpers statthaft ist, siehe Rdnr. 21 oben). Wenn hingegen der Berichterstatter eine Entscheidung an den Spruchkörper verweist oder der Spruchkörper sie von Amts wegen gemäß R.102.1 VerfO überprüft, wäre ein Antrag nach R.220.3 VerfO statthaft. Es gibt keinen Grund für eine weniger weitreichende Überprüfungskompetenz des Berufungsgerichts bei einer verfahrensleitenden Entscheidung des Berichterstatters als im Falle einer Entscheidung des gesamten Spruchkörpers.
(2) Folgen der Unzuständigkeit des Berichterstatters
31.
Gemäß R.242.2 (a) VerfO kann das Berufungsgericht sämtliche dem Gericht erster Instanz zukommenden Befugnisse ausüben. Nur in Ausnahmefällen kann es die Klage zur erneuten Entscheidung oder Verhandlung an das Gericht erster Instanz zurückverweisen, wobei die
Tatsache, dass das Gericht erster Instanz eine Frage nicht entschieden hat, über die das Berufungsgericht entscheiden muss, in der Regel keinen Ausnahmefall darstellt, der eine Zurückverweisung rechtfertigt (R.242.2 (b) VerfO). Wäre das Berufungsgericht der Ansicht, dass der Antrag nach R.333 VerfO unzulässig ist, müsste es selbst entscheiden. Anders verhält es sich jedoch im Falle der Zulässigkeit des Antrags. In diesem Fall hätte der zuständige Spruchkörper des Gerichts erster Instanz noch nicht in der Sache nach R. 333.1 VerfO entschieden, wie dies erforderlich gewesen wäre.
(3) Zulässigkeit des Antrags
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Der Antrag auf Überprüfung war zulässig.
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Bei der Beurteilung der Frage, ob der Mitteilung nach R.20.2 VerfO eine verfahrensleitende Entscheidung im Sinne von R.333.1 VerfO zugrunde liegt, berücksichtigt das Berufungsgericht Folgendes: Aus der Systemik der Verfahrensordnung, insbesondere R.331 VerfO in Verbindung mit R.102 und R.333 VerfO, wonach Entscheidungen und Anordnungen des Berichterstatters wegen des dem Spruchkörper vorbehaltenen Mandats entweder auf Initiative des Spruchkörpers selbst oder auf (begründeten) Antrag einer Partei immer überprüft werden können, ergibt sich, dass ein breiter Anwendungsbereich für die Überprüfungsmöglichkeit der Tätigkeit des Berichterstatters besteht. Dies spricht für eine eher weite als für eine eingeschränkte Auslegung des Begriffs “verfahrensleitende Entscheidung oder Anordnung” im Sinne von R.333.1 VerfO.
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Entgegen der Auffassung des Berichterstatters liegt der Unterrichtung nach R.20.2 VerfO eine verfahrensleitende Entscheidung im Sinne von R.333.1 VerfO zugrunde. Dies ergibt sich aus dem Katalog der Verfahrensleitungsbefugnisse nach R.334 VerfO. Dazu gehört nach Buchstabe e) die Festlegung der Reihenfolge, in der über Streitpunkte zu entscheiden ist, und nach Buchstabe i) die Anordnung, über diese gemeinsam zu verhandeln. Die Entscheidung darüber, wann über den Einspruch zu entscheiden ist, fällt unter diese Kategorien.
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Da der Begriff “verfahrensleitende Entscheidung oder Anordnung” ein weit gefasster Begriff ist, der eine weite Auslegung erfordert, kann nicht davon ausgegangen werden, dass R.333.1 VerfO die in R.334 VerfO genannten Entscheidungen und Anordnungen ausschließt und auf Entscheidungen und Anordnungen im Sinne der R.350 und R.351 VerfO beschränkt ist, wie von der Berufungsbeklagten geltend gemacht. Aus der allgemeinen Formulierung in R.102 und R.333 VerfO (siehe Rdnr. 25 oben) geht eindeutig hervor, dass alle verfahrensleitenden Anordnungen und Entscheidungen, insbesondere auch die in R.334 VerfO genannten, Gegenstand einer Überprüfung nach R.333 VerfO sein können. Die Tatsache, dass der Berichterstatter bei der Verfahrensleitung über einen Ermessensspielraum verfügt, führt nicht dazu, dass die in diesem Rahmen getroffenen Entscheidungen von der Überprüfung nach R.333 VerfO ausgeschlossen sind. Es ist Sache des Spruchkörpers, bei der Überprüfung nach R.333 VerfO die Effizienz, die Verhältnismäßigkeit und den dem Berichterstatter eingeräumten Ermessensspielraum angemessen zu berücksichtigen.
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Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass der Antrag nach R.333.2 VerfO eine Frist von 15 Tagen ab Zustellung der “Anordnung” für die Einreichung eines Antrags vorsieht.
R.333.1 VerfO ist nämlich dahingehend auszulegen, dass in einem Fall, in dem - wie hier – eine Unterrichtung von der verfahrensleitenden Entscheidung erfolgt, die Frist mit der Zustellung der Unterrichtung gemäß R.20.2 VerfO zu laufen beginnt.
37.
Die Grundsätze der Verfahrensökonomie, die auch für Entscheidungen oder Anordnungen im Rahmen der Verfahrensleitung gelten, insbesondere für eine Entscheidung oder Anordnung über einen Einspruch, sprechen ebenfalls für die Möglichkeit der Überprüfung einer R.20.2-Unterrichtung durch den Spruchkörper. Zweck des Einspruchs ist es, die Zuständigkeit des Gerichts bzw. die Zuständigkeit der Kammer und die Verfahrenssprache möglichst frühzeitig zu klären. Im Einklang mit der Erwägung in Erwägungsgrund 6 des EPGÜ, dass das Einheitliche Patentgericht zügige Entscheidungen gewährleisten sollte, sieht R.20.1 VerfO vor, dass über den Einspruch so bald wie möglich zu entscheiden ist. Dieser Zweck würde vereitelt, wenn der Spruchkörper nicht bereits im Zwischenverfahren auf Antrag einer Partei die R.20.2-Unterrichtung überprüfen könnte.
38.
Entgegen der in der angefochtenen Entscheidung vertretenen Auffassung kann aus dem Wortlaut von R.20 und R.21 VerfO nicht gefolgert werden, dass die Entscheidung über den Zeitpunkt der Entscheidung über einen Einspruch keine überprüfbare Entscheidung ist. Der Umstand, dass in R.20.2 VerfO im Gegensatz zu R.20.1 und 21.1 VerfO nicht von einer Entscheidung, sondern von einer “Unterrichtung” die Rede ist, kann nicht als Hinweis darauf verstanden werden, dass dieser Unterrichtung keine verfahrensleitende Entscheidung zugrunde liegt.
39.
Die Tatsache, dass in R.21 VerfO die “Unterrichtung” nicht erwähnt wird, bedeutet nicht, dass es keine Möglichkeit gibt, eine Überprüfung der Entscheidung über die Behandlung des vorläufigen Einspruchs im Hauptverfahren zu beantragen. Nach R.21 VerfO kann gegen eine Entscheidung des Berichterstatters, dem Einspruch stattzugeben, Berufung nach R.220.1 (a) VerfO eingelegt werden; gegen eine Entscheidung des Berichterstatters, den Einspruch zurückzuweisen, kann nur nach R.220.2 VerfO Berufung eingelegt werden. R.21 VerfO enthält keinen abschließenden Katalog der Rechtsmittel gegen die dort genannten Entscheidungen oder Anordnungen. Auch die Stattgabe und die Zurückweisung eines Einspruchs können nach R.333.1 VerfO überprüft werden, soweit es sich um verfahrensleitende Entscheidungen oder Anordnungen handelt. Erst recht kann aus R.21 VerfO nicht gefolgert werden, dass Rechtsmittel gegen andere verfahrensleitende Entscheidungen des Berichterstatters, die einen Einspruch betreffen, von einer Überprüfung nach R.333 VerfO ausgeschlossen sind.
40.
Nichts anderes ergibt sich aus dem Wortlaut von R.21.1 Satz 2 VerfO, wonach gegen eine Entscheidung über die Zurückweisung des Einspruchs “nur” nach R.220.2 VerfO Berufung eingelegt werden kann. Damit soll lediglich klargestellt werden, dass im Falle der Zurückweisung eines Einspruchs die Berufung zulässig ist, wenn die Voraussetzungen von R.220.2 VerfO vorliegen, und dass in diesem besonderen Fall als Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz die Zulassung der Berufung durch den Berichterstatter erfolgen kann, ohne dass eine vorherige Überprüfung durch den Spruchkörper nach R.333.1 VerfO erforderlich ist. Wird die Berufung zugelassen, so hat die unterlegene Partei die Wahl, entweder Berufung einzulegen oder einen Antrag auf Überprüfung nach R.333.1 VerfO zu stellen. Hat der Berichterstatter die Berufung nicht zugelassen, kann die Partei eine Überprüfung durch den Spruchkörper beantragen. Gegen die daraufhin ergehende Entscheidung des Spruchkörpers kann dann entweder Berufung eingelegt werden, wenn
IV. Schlussfolgerung
Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen hat der Berichterstatter den Antrag auf Überprüfung nach R.333.1 VerfO zu Unrecht als unstatthaft zurückgewiesen. Er hätte nicht selbst über die Zulässigkeit entscheiden dürfen. Er hätte den Antrag dem Spruchkörper zur Entscheidung nach R.333.1 VerfO vorlegen müssen, der Spruchkörper hätte dann die Entscheidung des Berichterstatters vom 30. Oktober 2023 in der Sache überprüfen müssen.
Diese Schlussfolgerung führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an den Spruchkörper der Lokalkammer München (R.242.2(b) VerfO; vgl. Rdnr. 31 oben) zur Entscheidung gemäß R.333.4 VerfO.
ANORDNUNG:
Auf die Berufung der Berufungskläger (Beklagten) wird die Anordnung des Berichterstatters der Lokalkammer München vom 11. Dezember 2023, ORD_588901/2023, aufgehoben. Der Antrag auf Überprüfung gemäß R.333 VerfO wird zur Entscheidung an den zuständigen Spruchkörper der Lokalkammer München zurückverwiesen.
NAMEN UND UNTERSCHRIFTEN
Richterinnen
Vorsitzende Richterin: Rian Kalden
Rechtlich qualifizierte Richterin: Ingeborg Simonsson
Rechtlich qualifizierte Richterin und Berichterstatterin: Patricia Rombach
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